Der böse, fremde Mann, der Kinder mit Süßigkeiten oder Versprechungen in die Falle lockt: Lange stand dieses Bild für sexuellen Kindesmissbrauch und viele Eltern haben ihre Kinder vor ihm gewarnt. Aber das Problem liegt viel näher: Sexueller Missbrauch findet in den meisten Fällen in der eigenen Familie statt, aber auch im Sportverein, der Kirche und über das Internet. Nur ganz selten ist der böse, fremde Mann der Täter. Stattdessen sind es Väter, Onkel, Trainer, Seelsorger, Bekannte, Freunde der Familie - Frauen wie Männer.
Als sexueller Missbrauch (auch sexuelle oder sexualisierte Gewalt genannt) gilt jede sexuelle Handlung, die an Kindern und Jugendlichen gegen deren Willen vorgenommen wird oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können. Bei Kindern unter 14 Jahren geht man grundsätzlich davon aus, dass sie einer sexuellen Handlung nicht zustimmen können.
Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik steigen seit Jahren an. Für das Jahr 2022 wurden in Deutschland rund 15.500 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch angezeigt. Die Dunkelziffer ist noch deutlich größer, denn viele Taten kommen niemals zur Anzeige. Um es sich konkret vorstellen zu können: pro Schulklasse sind ein bis zwei Kinder von sexuellem Missbrauch betroffen. Nachfolgend findest du einige Tipps, wie du Betroffenen in deinem Umfeld helfen kannst.
Wenn es um das Thema Missbrauch geht, gilt als erstes ein Grundsatz: Victims first. Deutet ein Kind oder Jugendlicher eine Missbrauchserfahrung an oder erzählt dir sogar davon, ist es wichtig, dass du die Person ernst nimmst und ihr Glauben schenkst. Betroffene müssen häufig erleben, dass ihnen keiner glaubt. Jede Beschäftigung mit dem Thema des Missbrauchs muss von den Erfahrungen der Betroffenen ausgehen.
Du bist nicht die Polizei oder Staatsanwaltschaft, die den Fall aufklären müssen. Sondern du bist einfach da, um zuzuhören und Ruhe zu bewahren. Auch wenn das leichter gesagt ist, als getan. Missbrauchserfahrungen sind häufig schwer anzuhören. Aber viele Betroffene wünschen sich einfach eine Person, der sie ihre Erfahrungen erzählen können. Manchmal musst du auch gar nicht viel sagen, sondern einfach nur ein offenes Ohr haben. Lass die Person das erzählen, was sie erzählen möchte und dränge sie nicht zu Aussagen wie z.B. über den Täter. Du bist auch kein Therapeut, der hilfreiche Ratschläge geben muss. Hör einfach zu.
Papst Franziskus hat 2016 einen jährlichen Gebetstag für Missbrauchsbetroffene angestoßen. In Deutschland findet dieser rund um den 18. November, dem „Europäischen Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“, statt. Der Gebetstag soll für die Thematik sensibilisieren und Solidarität mit den Betroffenen zum Ausdruck bringen. Weitere Informationen und Materialien für die Gestaltung des Gebetstags finden sich bei der Deutschen Bischofskonferenz.
Häufig geben sich die Betroffenen von sexuellem Missbrauch selbst die Schuld für die Tat. Sie denken, den Täter durch ihr Verhalten, ihre Worte, ihren Körper zu der Tat gebracht zu haben. Aber Opfer sind niemals schuld an ihrem Missbrauch! Die Schuld liegt allein bei den Täterpersonen! Wenn ein Missbrauchsopfer seine Schuldgefühle äußert, versuch sie zu verstehen und mach gleichzeitig deutlich, dass die Person keine Schuld trägt.
Eine Person, die sexuellen Missbrauch erlebt hat, braucht oft professionelle Unterstützung. Gemeinsam könnt ihr nach Beratungsstellen, Ärzten, Therapeuten etc. suchen. Du kannst der Person zudem anbieten, sie dorthin zu begleiten, wenn sie das möchte und du dich damit wohl fühlst. Beachte aber immer die Autonomie des Opfers. Durch den Missbrauch wurde seine Selbstbestimmung sehr verletzt. Du kannst ihm jetzt das Gefühl geben, über seine Entscheidungen und Handlungen selbst die Kontrolle zu haben.
Sexueller Missbrauch ist ein schwieriges und belastendes Thema. Es betrifft nicht nur die Opfer selbst, sondern auch das ganze soziale Umfeld: Familie, Freunde, Kirchengemeinde, Ordensgemeinschaft, Familie der Täter etc. – sekundär Betroffene nennt man sie in der Fachsprache. Achte daher auch immer auf deine eigenen Grenzen und such dir ggf. selbst Hilfe, um über deine Erfahrungen und Gefühle zu sprechen. Du musst nicht rund um die Uhr erreichbar sein und kannst keine professionelle Therapie ersetzen. Aber du kannst allein mit deinem freundschaftlichen Zuhören viel zum Heilungsprozess beitragen.
Solltest du selbst von Missbrauch betroffen sein oder jemanden kennen, findest du hier Unterstützung:
Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch: umfangreiche Datenbank mit Beratungs- und Hilfeangeboten vor Ort für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte
Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: Tel. 0800 2255530 (kostenfreies und anonymes Hilfetelefon für Betroffene, Angehörige, Fachkräfte und alle Menschen, die Fragen zum Thema sexueller Kindesmissbrauch haben)
Unabhängige Ansprechpersonen des Erzbistums Paderborn für Missbrauch