03.09.2024
Heimat

So schmeckt der Sommer

Wisst ihr noch? Als Kind waren die Ferien endlos, die Knie vernarbt und die Lichtschutzfaktoren kaum jemals höher als 20. Ein Blick auf die Sommergefühle von damals – und heute.
Von Carolin Schnückel
Habt ihr Lust auf eine Zeitreise? Es geht in die 1990er. Schnallt euch auf eurem Kindersitz an, kurbelt das Fenster runter und lasst eure Hand durch den Fahrtwind gleiten. Und schon sind wir zurück – genau dort, wo die wichtigste Frage war, wer die größte Hubba-Bubba-Blase machen kann. Im Garten der besten Freunde, wo ihr gerade ein selbstgemachtes Saft-Eis aussaugt, bis nur noch das gefrorene Wasser übrig ist. Zurück in dem Moment, als der Musikverein das erste Lied beim Schützenfestumzug anstimmt und ihr die Paukenschläge in eurem Magen spüren könnt.

„Ein Sommergefühl: der Tischtennisball, der auf der flachen Handinnenfläche aufprallt, weil es beim Rundlauf zu wenige Schläger gibt.“

Der Stockbrotteig zwischen den Händen

Als ich mich in meine Kindheitssommer zurückträume, merke ich, dass meine Erinnerungen eng mit Sinneseindrücken verbunden sind. Klebrige Hände von Seifenblasenlauge, von geschmolzenem Eis, von frischem Harz, das ich mit Butter wieder löse. Der weiche Hefeteig fürs Stockbrot zwischen den Händen. Das flaue Gefühl im Bauch, wenn ich mit geschlossenen Augen schaukele. Der Schmerz einer frischen Schramme auf dem Arm von Kaninchenkrallen oder zurückschlagenden Zweigen. Der Tischtennisball, der auf der flachen Handinnenfläche aufprallt, weil es beim Rundlauf zu wenige Schläger gibt.

Warten auf den Sommerhit

Gefühlt ist man als Kind im Sommer nur gerannt. Man hatte es immer eilig. Das FOMO-Level kein Vergleich zu heute. Bloß nichts verpassen. „Beeilung!“ – „Wartet auf mich!“ So schnell Fahrradfahren, dass die bunten Perlen an den Speichen nicht mehr klackern und die orangene Fahne wackelt. Auf den letzten Metern abspringen, das Fahrrad hinwerfen, dann weiterrennen. Im Freibad auf Zehenspitzen über die Kiefernadeln huschen, 50 Pfennig für eine bunte Tüte fest in der Faust. Ungeduldig durch die Radiosender skippen, bis man endlich „Hit me baby one more time“ findet und beim Kassettendeck auf REC drückt.

Ein Ed-von-Schleck, bitte!

Bestimmte Geschmäcker und Geräusche befördern mich noch heute sofort zurück in die endlosen 90er-Sommer. Weißbrot mit Butter und lauwarmer, frischgekochter Erdbeermarmelade. Und Ed-von-Schleck-Eis, natürlich. Das Quietschen des Plastik-Bodens beim Hochschieben – und die bahnbrechende Entdeckung, dass man den Stiel als Strohhalm für die geschmolzenen Reste benutzen konnte! 

Höre ich einen Zelt-Reißverschluss, kommen mir sofort die Gruselgeschichten in den Sinn, die mir meine Freundin bei flackernder Taschenlampe erzählt hat. Auch manche Vokabeln haben es nicht mit ins Erwachsenenleben geschafft, sind in den Kindheitssommern geblieben: mit dem Fahrrad „brettern“ (richtig schnell und wild fahren), „Gelber Sprudel“ (Orangenlimo), „Fingerlinge“ (kleine Nürnberger Würstchen), "schnuckern" (Süßigkeiten essen).

Und heute?

Tja, und plötzlich bin ich erwachsen und habe selber zwei kleine Kinder, denen ich tolle, eigene Sommererinnerungen ermöglichen will. Manchmal habe ich allerdings das Gefühl, ich hetze nur dem Optimalzustand hinterher, bevor wir dann gemeinsam den Sommertag genießen können – beide sind eingecremt, trinken genug, haben ihre Kappis auf, verschlucken und/oder treten in keine Wespen, brechen sich nichts auf der Hüpfburg, gehen in der Innenstadt an meiner Hand. Und dann ist das Eisessen oder der Ausflug an den See schon wieder vorbei und mir bleibt nur ein hastig gemachtes Foto für den Familienchat.

Unbeschwert geht nur unperfekt

Das unbeschwerte Sommergefühl der Kindheit ist von der Verantwortung als Mama ordentlich zusammengestaucht worden. Ein stückweit geht das natürlich nicht anders – aber alles kontrollieren, alle Unzufriedenheiten vorhersehen geht halt auch nicht und macht nur Stress. 

Und eigentlich erinnere ich mich am liebsten an die überraschenden Momente, in denen meine Mama ihre Verantwortung ein bisschen hat schleifen lassen: der Morgenspaziergang in Schlafanzug und Gummistiefeln, mit dem Frühstück als Picknick im Rucksack – „Anziehen hätte zu lange gedauert“, sagt meine Mama heute, „die Luft war an diesem Morgen so herrlich.“ Ich am Strand in ihrem Pulli, weil wir keine Wechselsachen dabeihatten. Wir auf dem Spielplatz bei aufziehendem Gewitter; ich werde ängstlich, aber sie sagt: „Keine Angst. Wir bleiben noch bis zum nächsten Donner.“

Werdet wie die Kinder!

Wenn ich an meine Kindheitssommer denke, spüre ich noch etwas anderes: Als Kind war ich immer ganz im Hier und Jetzt. Also genau das, was uns als Erwachsenen in jeglichen Meditationen, Entspannungsübungen oder beim Yoga vorgebetet wird: Sei im Moment. Oder wenn man‘s mit Jesus sagen will: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ (Mt. 18,3) Also her mit der kindlichen Leichtigkeit, das kann ich doch nicht alles verlernt haben!

Mama kann grad nicht,
Mama flechtet Gänseblümchen

Und wirklich: Sobald ich die inneren Stimmen ignoriere, die sagen: „als Erwachsene kannst du das doch nicht machen“, kommen die kindlichen Glückmomente wie von selbst zurück. Während die Kinder auf dem Spielplatz toben, flechte ich die schönste Gänseblümchenkrone meines Lebens. Im Sandkasten bin ich erst zufrieden, wenn sich alles ohne Reste aus dem Förmchen löst. Nach einem starken Regen waten wir durch die matschigen Treckerspuren im Maisfeld. Ich hebe den Kleinen nicht auf die Rutsche, sondern klettere mit ihm zusammen hoch.

Und auf eine Sache bin ich diesen Sommer verdammt stolz. Ich habe was gelernt, wofür ich als Kind zu ängstlich war. Ich kann jetzt freihändig Fahrradfahren. Und dabei fühle ich mich so frei, dass ich fast erwarte, gleich wieder die bunten Perlen an den Speichen klackern zu hören.

Mix