Lisa Kapteinat in ihrer beruflichen Heimat: Dem Düsseldorfer Landtag.
Lisa Kapteinat in ihrer beruflichen Heimat: Dem Düsseldorfer Landtag.
14.01.2019
Politik

Traumjob Abgeordnete?

Lisa Kapteinat (31) aus Castrop-Rauxel sitzt im NRW-Landtag. Wir sprechen über ihren Arbeitsalltag, von dem viele keine Vorstellung haben.

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von Tobias Schulte

Exklusivität versprüht die Lobby des Düsseldorfer Landtags. Sitzgruppen aus Leder sind um eine rechteckige Bar mit Espresso-Maschine und Orangensaftpresse gestellt. Der Blick fällt automatisch durch die Glasfassade auf den Rhein und das grüne Rheinufer. Hier empfängt mich Lisa Kapteinat, 31, Landtagsabgeordnete.

Ihre Stiefeletten fallen gegenüber dem blauen Rock, der weißen Bluse und dem blauen Blazer ins Auge. Sie sind knallrot. Ein optisches Statement?

Zur Person
Lisa Kristin Kapteinat wurde 1989 in Witten geboren. Nach dem Abitur studierte sie von 2008 bis 2013 Jura an der Uni Münster. Seit 2016 arbeitet sie als Rechtsanwältin. Kapteinat ist seit 2004 Mitglied der SPD und verheiratet.

Lisa Kapteinat ist eine von zehn Landtagsabgeordneten, die 33 Jahre oder jünger sind. Insgesamt sitzen 318 Politiker im NRW-Landtag, in dem CDU und FDP regieren. Lisa Kapteinat gehört zur SPD. Sie empfängt mich an einem Mittwoch, dem Wochentag, den sie „Hauptkampftag, was Ausschüsse angeht“, nennt.

Ab 11 Uhr saß sie in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Vertreter der Arbeiterwohlfahrt, der Deutschen Pflegegruppe, des Landesverbands der Pflegekasse etc. haben den Mitgliedern des Ausschusses über ihre Sicht zur geplanten Veränderung des Wohn- und Teilhabegesetzes berichtet.

Um ihre Aufgaben als Landtagsabgeordnete deutlich zu machen, skizziert die 31-Jährige ihren wöchentlichen Ablauf. Sie weiß, dass zu viele Menschen keine Vorstellung davon haben, was zu ihrem Beruf gehört. „Irgendwie ist das auch unser Fehler, dass es uns nicht gelingt, das klarzumachen“, sagt Kapteinat. Ihre hohe, teils metallisch klingende Stimme, wirkt durchgängig freundlich. Gleichzeitig analysiert und kritisiert sie hart in der Sache.

Lisa Kapteinats Wochenablauf
Montags: 10 Uhr Sitzung des geschäftsführenden Vorstands der SPD-Fraktion im Landtag NRW
12 Uhr Sitzung des erweiterten Vorstandes der Fraktion
Dienstags: 10 Uhr Sitzung der SPD-Fraktion
Mittwochs: Sitzungen des Rechtsausschusses und Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales.
Donnerstags: keine festen Ausschustermine, abends Termine im Wahlkreis
Freitags: Parlamentarischer Untersuchungsausschuss

Lisa Kapteinat im Gespräch in ihrem Büro.

Hauptarbeit: Meinungsbildung

Für das Gespräch haben wir bis 15:30 Uhr, also gut anderthalb Stunden Zeit. Dann tagt der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales erneut. Diesmal stimmt er über fünf Anträge ab und hört Berichte der Landesregierung. Das Plenum gibt die wichtigen Themen für NRW an die jeweiligen Ausschüsse weiter. Hier diskutieren die Abgeordneten, die auf die Fachgebiete spezialisiert sind.

Der Ausschuss entscheidet, in welche Richtung ein Gesetz gehen soll und bereitet Beschlüsse des Plenums vor. Gerade für die Opposition, zu der Kapteinat gehört, kommt es darauf an, Themen anzustoßen, nachzuhaken und auf Unstimmigkeiten hinzuweisen. „Oppositionsarbeit funktioniert ganz oft über medialen Druck. Eine Regierung lässt sich selten von oppositionellen Argumenten überzeugen“, sagt Kapteinat.

Um im Plenarsaal zu debattieren und abzustimmen kommen die Landtagsabgeordneten zwei bis fünf Mal im Monat zusammen. In Reden vertreten die Politiker ihre Meinung. Doch die eigentliche Arbeit leisten sie davor: die Meinungsbildung.

»Bis man an dem Punkt ist, was die Meinung ist, hat man eben drei Stunden Anhörung gehabt, in der wir Fragen zu einem 100 Seiten langen Gutachten stellen konnten. In gut fünf Wochen wird es das Protokoll dazu geben. Das liest man sich durch und diskutiert mit Kollegen darüber. Dann haben wir eine Ausschusssitzung zu dem Thema. Am Ende hält man eine Rede von fünf Minuten im Parlament.«

Lisa Kapteinat
Landtagsabgeordnete in NRW für die SPD

Fragt man Lisa Kapteinat danach, was Politik und Kirche zusammen erreichen können, spricht sie über Toleranz und Respekt. Sie fordert einen guten Umgang mit Rettungskräften auf dem Mittelmeer, die an ihrer Arbeit gehindert werden. Toleranz gegenüber demjenigen, der nicht so ist, wie alle anderen. „Das würde Kirche und Politik gut zu Gesicht stehen, da Seite an Seite zu arbeiten.“

15:30 Uhr. Im Sitzungssaal E3 D01 sitzen gut 50 Politiker und Zuschauer auf Bürostühlen in einem Kreis. Lisa Kapteinat hat ihren Platz in der ersten Tischreihe. Links von Ausschussvorsitzenden Heike Gebhard (CDU) und Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Nach der Reihe liest die Vorsitzende die anstehenden Themen vor und gibt das Wort der jeweiligen Fraktion. Martin Vincentz von der AfD präsentiert vier der insgesamt fünf Anträge. Es antworten zwei oder drei Politiker der anderen Fraktionen und erklären jeweils, warum sie gegen den Antrag stimmen werden.

Für mich, der sich vorher nicht mit den Themen der Sitzung beschäftigt hat, fällt es schwer, den Reden zu folgen. Das politische Alltagsgeschäft und seine Themen sind kleinteilig. Die Politik-Sprache verliert sich in Nominativen. Das eigentliche Problem und die Kernaussage sind oft schwer nachzuvollziehen.

Die Stimmung im Sitzungssaal ist unruhig. Während jeweils ein Abgeordneter argumentiert, verkauft eine Gastronomiemitarbeiterin Kaffee und Getränke. Abgeordnete tippen beschäftigt auf der Tastatur ihres Laptops oder des Handys. Ein Abgeordneter, auf dessen Bildschirm ich gucken kann, verwaltet seinen Terminkalender. Andere unterhalten sich. Die FDP-Fraktion schießt ein Selfie.

Lisa Kapteinat zeigt auf ihren Platz im Plenum.
Lisa Kapteinat zeigt auf ihren Platz im Plenum.

Dann vibriert mein Handy. SMS von Lisa Kapteinat: „Achten Sie auf den Minister.“ Dieser verschränkt die Arme vor dem Bauch und blickt nach unten. Seine Augen sind verschlossen. Ich schmunzle. Vom Verhalten her könnte ich auch in einer Vorlesung an der Uni sitzen.

Innerlich rege ich mich etwas über die Situation auf. Nach dem Gespräch mit Lisa Kapteinat weiß ich aber auch, dass jeder Abgeordnete sich auf die Sitzung vorbereitet hat und weiß, zu welchem Thema er Stellung beziehen muss. Die Fraktion hat vorher geklärt, wie sie abstimmt, und kennt auch die Argumente der Gegenseite. Politiker müssen viel zuhören, um selbst sprechen zu können. Sie erfahren die unterschiedlichsten Sichtweisen auf ein Thema. Politiker müssen lernen, dass ihre Ideen scheitern, obwohl sie gut sind.

Landtagsabgeordnete – ein Traumjob? Für Lisa Kapteinat schon. Sie ging ihren politischen Weg Schritt für Schritt: Jugendparlament Castrop-Rauxel, SPD-Ortsverein Henrichenburg, SPD-Stadtverband Castrop-Rauxel, Kreistag Recklinghausen, Landtag NRW. Alles neben dem Jurastudium und dem Beruf als Rechtsanwältin. Ein paar Stunden die Woche arbeitet sie weiterhin in der Familienkanzlei – um später möglicherweise ganz zurück in den Beruf zu kommen. Sie wohnt weiter im Ruhrgebiet und hat ihre Ämter in der Castroper SPD und im Kreistag. Freizeit bleibe ihr wenig. Gerade auch, weil 2019 wieder Wahlkampf vor der Tür steht. Am 26. Mai 2019 wird das Europaparlament gewählt.

Was verdient ein Abgeordneter im NRW-Landtag?
Nach Informationen des Landtags NRW verdient jeder Abgeordnete eine Grundsumme in Höhe von 4807 Euro. Dazu kommen eine allgemeine Kostenpauschale (1206 Euro), eine Pauschale für Mehraufwendungen am Sitz des Landtags (302 Euro) sowie eine Fahrkostenpauschale (448 bis 879 Euro je nach Entfernung des Wohnorts).

Als Stadtverbandsvorsitzende der SPD Castrop-Rauxel organisiert Lisa Kapteinat in ihrer Heimat Infostände und Veranstaltungen. Sie steht Rede und Antwort. Mit Flyern ausgestattet klingelt sie sich von Haustür zu Haustür. Sie wirbt dafür, dass die EU es mehr als bisher unterbindet, dass Unternehmen wie Apple einen Großteil der Steuern nicht zahlt. Sie spricht sich dafür aus, weg vom nationalen Denken zu kommen. Die Wirtschaftsunion würde sie in eine Sozialunion umzugestalten.

Doch bei der Europawahl stellt sich vielleicht wie bei keiner anderen Wahl die Frage: Wofür ist meine Stimme wichtig? Lisa Kapteinat versteht jeden, der das europäische System nicht durchblickt. Wer kann schon den Rat der EU vom Europäischen Rat unterscheiden? Wichtig ist ihr, dass das Europaparlament das einzige Gremium ist, das direkt von den Bürgern der EU gewählt wird. „Deshalb hat das Europaparlament schon eine besondere Bedeutung“, sagt Kapteinat.

Bei der Europawahl komme es gerade auf die jungen Wähler an. „Alle unter 40 können zeigen, was für ein Interesse sie an ihrer Zukunft haben.“ Ein mahnendes Beispiel sei die Brexit-Abstimmung in Großbritannien. Die wäre anders ausgefallen, wenn mehr junge Briten abgestimmt hätten. Wir sind in einem friedlichen Europa mit Schüleraustauschen und Erasmus-Semestern aufgewachsen. Wir sollten es sein, die sich für ein gemeinsames und offenes Europa einsetzen.

Kapteinats Plädoyer für die Europawahl:
Geht zur Wahl, denn es geht um eure Zukunft. Ihr seid diejenigen, die entweder davon profitieren oder darunter leiden, was in den nächsten Jahren auf europäischer Ebene passiert. Politiker lassen sich in ihren Entscheidungen davon beeinflussen, dass viele junge Menschen zur Wahl gehen. Wählt eine Partei, die für ein offenes Europa ist, die füreinander einstehen möchte. Das sind aus meiner Sicht zwei Parteien: Die Grünen und die SPD.

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