Ein Hexenhäuschen mit schiefem Dach, zwei runtergerockten Eingangstüren, kaputten Fensterläden und verdreckter Fassade. Klar, das hatte irgendwie Charme, aber ich konnte mir an diesem trüben Herbsttag vor nunmehr viereinhalb Jahren beim besten Willen nicht vorstellen, wie daraus mal unser Traumhaus werden sollte. Stefan scheinbar schon.
Wenige Wochen später gingen wir zum ersten Mal mit dem Eigentümer durch die kleinen Räume. Und obwohl mein Kopf weiterhin nicht in der Lage war, sich diverse Wände weg-, eine Gaube drauf- und einen anderen Dachwinkel hinzudenken, war mein Herz schon voll bei der Sache. Diese Stimmung, die sich abends über den birkengesäumten Radweg und die angrenzenden Felder mit dem kleinen Fluss legt – die erfüllt mich immer wieder mit tiefem Frieden.
Es vergingen allerdings noch fast zwei Jahre von der ersten Besichtigung bis zur Unterzeichnung des Kaufvertrags – der Vorbesitzer lebt in Kanada, was die Kommunikation „etwas“ schleppend gestaltete. Doch am 1. Februar 2017 waren wir endlich stolze Hausbesitzer! Viele Freunde und Verwandte haben uns damals für verrückt gehalten. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem ich mich vor meinen Eltern, meiner Halbschwester und meinem Schwager in allen erdenklichen Weisen rechtfertigen musste.
„Schafft ihr das denn körperlich?“, sorgte sich Mama. „Meinst du nicht, dass das eine Zerreißprobe für eure Beziehung wird?“, malte meine Schwester schwarz. „Das wird euer finanzieller Ruin“, stellte mein Schwager knallhart fest. Während dieser sehr intensiven und emotionalen Diskussion wuchs in mir die felsenfeste Überzeugung, dass wir das schaffen würden. Sie würden schon alle noch sehen. Klar, das würde anstrengend werden. Das würde nicht ganz ohne Blut, Schweiß und Tränen gehen. Und natürlich müssten wir das finanziell gut planen. Aber wir waren bereit. Also fingen wir an.
Zuerst ging es an Böden, Wände und Decken. Beläge raus, Tapeten und Putz runter, Zwischendecken weg. Sogar die Kellerdecke haben wir komplett neu gemacht, weil die alte Holzdecke an manchen Stellen marode war. Zwischendurch standen nur noch skelettartig die einzelnen Balken der Fachwerkwände, an denen Fetzen aus Lehm und Stroh hingen. Schließlich ging es auch dem Dach ans Gebälk: Zwischen Hoffen und Bangen im verregneten Sommer 2017 mussten wir uns irgendwann auf einen Tag festlegen, an dem unser Häuschen „oben ohne“ sein sollte. Weil eben alle Wände mit Lehm gebaut sind, wäre Dauerregen bis zum Errichten und Eindecken des neuen Dachstuhls eine Katastrophe gewesen.
Mit geballter Freundepower haben wir – immer wieder von Regenschauern unterbrochen – an einem Samstag erst die Dachpfannen abgedeckt und dann den alten Dachstuhl abgerissen. Nur noch die beiden Giebelwände standen einsam wie zwei flache Pyramiden da – ein Wahnsinnsanblick, den wir am Sonntag (glücklicherweise ohne eine Wolke am Himmel) ausgiebig mit Gartenstühlen auf unserer kurzzeitigen Dachterrasse genießen konnten.
Neben den – meist spannenden – handwerklichen und planerischen Learnings gab es natürlich auch noch welche, die man sich gern gespart hätte. Zum Beispiel, dass jeder Arbeitsschritt doppelt so lang dauert, wie man es erwartet hatte. Das will man zu Anfang nicht glauben. Geplant hatten wir eigentlich eine Bauzeit von gut einem Jahr.
Aber ja: Alles. Dauert. Länger. Ob man nun wochenlang auf einen Handwerker wartet oder ob das falsche Material geliefert wird; ob man „mal eben“ alle Fugen von Hand aus der Fassade hämmert, weil das Gerüst ja eh schon steht; ob man vorm Laminatlegen wirklich das zweiwöchige Estrich-Trockenprogramm der Fußbodenheizung laufen lassen muss, auch, wenn der Estrich schon vor einem halben Jahr gegossen wurde.
»Eines Tages macht das alles Sinn.«
CASPER
Die größte Lehre aus der Bauzeit ist und bleibt für mich die Geduld. So kam es auch, dass wir letztendlich für ein knappes Jahr (statt den geplanten zwei bis drei Monaten) in mein altes Kinderzimmer zogen, um nicht die finanzielle Doppelbelastung von Kredittilgung und Wohnungsmiete stemmen zu müssen.
Wenn ich mir Bilder vom Beginn der Sanierung anschaue, kann ich oft kaum glauben, was ich da sehe. Aber so anstrengend und fordernd die vergangenen zwei Jahre auch waren, ich möchte sie nicht missen. Dass wir sozusagen jeden Stein kennen, zu jedem Arbeitsabschnitt eine Anekdote erzählen können, dass irgendwann das fassungslose Kopfschütteln der Anderen zu einem fassungslosen Staunen wurde, dass wir das wirklich alles gemacht haben, dass wir so oft an unsere Grenzen gekommen und trotzdem nicht aufgegeben haben – das fühlt sich verdammt gut an.
Fertig sind wir auch heute übrigens noch lange nicht. Vier Zimmer sind noch im Rohbau, mit viel Glück steht im Herbst die Terrasse, bis zum nächsten Frühjahr werden wir durch die bodentiefen Fenster auf einen riesigen Schutthaufen im Garten blicken. Damit soll der Bereich angefüllt werden, wo das Carport stehen wird. Wie ging das nochmal mit der Geduld…?
Auf den letzten Metern unseres Kraftakts hat Stefan mir den zweiten Schockmoment beschert. Am 30. März habe ich bei einem Musical auf der Bühne gestanden. Dass wir an diesem Abend auf Isomatten im Haus übernachten wollten, hatten wir schon geplant. Als wir dann gegen Mitternacht vor der Haustür standen, ich mit wild toupierten Haaren, verschmiertem Make-Up und voller Glücksgefühle von all dem Applaus, meinte Stefan breit grinsend: „Ich hab da `ne kleine Überraschung für dich“. Von der Diele aus sah ich schon: Mein Schreibtisch steht! Mit Bürostuhl! Der Wahnsinn. Vor meinem inneren Auge zogen einige Bilder vorbei: Ich zwischen Zementsäcken auf dem Boden, Laptop auf den Knien, oder am Gartentisch sitzend mit lehmverschmierten Klamotten, aber immerhin schnellem Internet, um den YOUPAX-Kalender zu füttern. Wie oft hatte ich mir erträumt, in meinem fertigen Büro sitzen zu können, ohne Baulärm, ohne „Caro, ich muss jetzt den Strom abschalten“, nur mit dem Blick durch das große Fenster.
Das war aber noch nicht, was mir die Sprache raubte. „Es geht da auch noch ein bisschen weiter“, strahlte Stefan mit Kopfnicken zur Wohnzimmertür. Als sich dahinter unser samtrotes Sofa zeigte, der Couchtisch, der alte Sekretär an der Wand – da liefen mir nur noch die Tränen. All die Möbel wiederzusehen, die vor einem Jahr unser Zuhause ausgemacht hatten, hier, in diesem Haus… Das war schlicht überwältigend.
Da war er. Für diesen Moment hatten wir das alles gemacht.