Warum es sich lohnt, in der Bibel zu lesen
Wenn Heinz Blatz über die Bibel spricht, werden seine Worte ebenfalls fast biblisch. Dann redet er von einem Schatz, bei dem man erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennt, wo es funkelt. Und davon, dass es mit dem Bibellesen wie in einer Freundschaft ist – man müsse sich regelmäßig Zeit nehmen, einen besonderen Ort und Ruhe für das Miteinander finden. Eine Freundschaft also mit Texten, die 2000 Jahre und älter sind?
Dr. Heinz Blatz ist Experte für das Neue Testament, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät in Paderborn und vertritt an der Uni Duisburg-Essen gerade den Lehrstuhl für Neues Testament. Täglich liest er in der Bibel, analysiert Zusammenhänge, Wortwahl und die Intention des Autors.
Für ihn sei die Bibel eine „Wegbegleiterin“ in seinem Glaubensleben, sagt Blatz. „Im Gleichnis vom verlorenen Sohn wird deutlich, dass man eine zweite Chance bekommt, wenn man umkehrt, umdenkt.“ Eine hoffnungsvolle, klare Markenbotschaft des Christentums - doch wie können wir beim Lesen an diesen Kern, diesen funkelnden Schatz, gelangen?
Obwohl es sicher hilft – um aus der Bibel etwas für den eigenen Glauben zu lernen, braucht es kein Theologie-Studium. Blatz sagt: „Das wichtigste ist Ruhe, um sich zu fragen: Was macht der Text mit mir persönlich? Was will der Autor zur Zeit der ersten Christinnen und Christen sagen? Was denke ich darüber?“
Neben der Ruhe helfe eine gewisse Regelmäßigkeit. Heinz Blatz empfiehlt, jeden Sonntag 20 Minuten lang in der Bibel zu lesen. Bei einer Tasse Kaffee oder Tee, möglichst an einem festen Ort. Er sagt: „Je öfter ich die Bibel lese, desto tiefer komme ich rein, desto mehr lese ich daraus. Denn in den Texten steckt mehr, als beim ersten Lesen klar wird.“
Dann stellt er sich die Frage: Kann ich die Bibel wie jedes andere Buch in längeren Abschnitten lesen, oder sollte ich einzelne Textstellen näher betrachten? Blatz empfiehlt, beides zu tun. Um ein Verständnis für die Texte der Bibel aufzubauen, müsse man sie in größeren Abschnitten lesen. Dann würden Zusammenhänge klar, ein Erzählstrang offenbare sich und Anspielungen könnten verstanden werden. Auf gar keinen Fall dürften nur einzelne Sätze gelesen und interpretiert werden – die sogenannte „Steinbruch-Exegese“.
Wenn es dann darum geht, eine einzelne Passage näher zu verstehen, gibt die Wissenschaft mehrere Werkzeuge mit auf den Weg: Methoden der Exegese. Damit sei es wie mit dem Besteck beim Essen. Blatz sagt: „Zu jedem Text passt eine Methode besser oder schlechter. So, wie ich auch mit dem Messer nur mühsam eine Suppe löffeln kann."
Leichter entdecken lässt sich der Schatz der Heiligen Schrift, wenn man Bibelstellen in Gemeinschaft reflektiert. Je mehr Perspektiven einfließen, desto eher funkelt es. Entdecken lässt sich das zum Beispiel, wenn die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) Dortmund zu „Eine Nacht – Ein Evangelium“ einlädt.
Einmal im Jahr wird dann an einem Abend ein Evangelium laut vorgelesen. Impulse zur Reflektion, Musik, Stille und Austausch begleiten durch den Abend. Ein Angebot, das Lisa Labuda besonders schätzt. Sie 24-Jährige wohnt in Dortmund und studiert katholische Theologie und Jura in Bochum. Sie war eine von sieben Studenten, die das Evangelium nacheinander laut vorgelesen haben.
Lisa Labuda erzählt in der Pause bei „Eine Nacht – Ein Evangelium“, wie sie darüber nachdachte, dass Gott wirklich Mensch geworden ist. Im Johannes-Evangelium steht zunächst Gott als das Wort im Vordergrund. Das Wort wird Fleisch in Jesus Christus, der in unserer Welt wirkt, gekreuzigt wird und aufersteht. Mit Blick darauf vergleicht sie das Christentum mit dem Judentum und dem Islam – zwei Religionen, die sich auch auf das Wort Gottes stützen. „Wir aber glauben daran, dass Gott als Mensch zu uns gekommen ist. Das ist ein ganz anderes Verhältnis“, sagt sie.
Lisa Labuda liest jedes Wochenende einen Impuls zum Sonntagsevangelium, den die KHG an sie per WhatsApp schickt: das „Evangelium to go“. Die 23-Jährige erzählt, dass sie sich oft vornehme, jeden Tag wenigstens zehn Minuten in der Bibel zu lesen. Doch meistens komme sie nicht dazu. Damit ist Lisa Labuda nicht alleine – laut einer Umfrage lesen nur vier Prozent der Deutschen jeden Tag in der Heiligen Schrift, drei Prozent mehrmals in der Woche. Dabei sagt Lisa Labuda selbst: „Aus der Heiligen Schrift kann ich eine Antwort nehmen. In den Worten, die vor 2000 Jahren weitergegeben und aufgeschrieben wurden, steckt immer eine Aktualität.“
Das liegt daran, dass viele Probleme der ersten Christinnen und Christen auch uns heute noch beschäftigen. Wissenschaftler Blatz erklärt das anhand des Markusevangeliums, das auch die Frage behandelt, wofür Macht da sei.
Das Evangelium präsentiere zwei Möglichkeiten, wie Macht genutzt werden könne: „Erstens, um hierarchisch von oben herunter zu herrschen, so, wie die Kaiser und Könige. Und zweitens, um mit der Macht zu dienen, zu helfen – so, wie Jesus.“ Auch heute liege die Macht bei einigen Wenigen, sagt Blatz. Wie zu Jesu Zeiten. „Wir kommen aus diesem System nicht heraus, können uns aber innerhalb dessen entscheiden, es anders zu machen. Zu dienen, zu helfen.“
Jetzt höre mal in dich hinein: Fängst du auch an, das Funkeln zu erkennen?