Junge und ältere Person am See beim Angeln
05.07.2021
Perspektive

Ein Plädoyer für Vorbilder

Lasst uns wieder mehr Vorbilder suchen, finden und selbst sein!

test
Von Sophie Kiko

Könnt ihr euch noch daran erinnern, wer eure Vorbilder in der Kindheit oder Jugend waren? Habt ihr jetzt noch welche? 

Ich weiß noch, dass ich die Sängerin Lena unglaublich toll fand, als sie den ESC für Deutschland gewonnen hat. Ich ging in den Schulchor, hing ihre Poster auf und wollte sein wie sie - so mutig und erfolgreich.

Es stellte sich zwar heraus, dass mir dazu das nötige Gesangstalent fehlte, aber die junge brünette Frau, die bei dem Musikwettbewerb damals alles ein bisschen aufwirbelte, ganz Europa von sich überzeugte und uns alle in unseren Zimmern zum Tanzen brachte, beeindruckte mich dennoch. 

Aber ist das wirklich schon ein Vorbild? Meine Antwort: Ja! Für mich hatte Lena in der Zeit das, was ein Vorbild ganz grundsätzlich ausmacht: einen nachhaltig positiven Eindruck und Orientierung in meinem Leben.

Vorbilder in dem Sinne hat doch jeder

Das war zumindest meine naive Vorstellung, als ich vor ein paar Wochen in der 7d – ein Vorschlag der Lehrerin - meines alten Gymnasiums in Delbrück per Videokonferenz zugeschaltet wurde. Während ich über mein Vorbild in der Jugend nachgedacht hatte, habe ich mir die Frage gestellt, wen Jugendliche heute als solche bezeichnen würden. Greta Thunberg, Internet-Stars oder Menschen aus dem eigenen Umfeld?


Der Online-Konferenzraum öffnet sich. Im Klassenzimmer bin ich groß auf dem Beamer zugeschaltet. Die knapp 30 Schülerinnen und Schüler sitzen mit ihren Masken gespannt auf ihren Plätzen und ich fange einfach an. Ich erzähle, dass ich auch mal in genau diesem Klassenraum Unterricht hatte, jetzt für YOUPAX schreibe und mir Gedanken über Vorbilder mache. Dass ich damals eins hatte und heute auch noch so einige. Dass ich mich frage, wer ihre sind, ob sie überhaupt welche haben und welche Menschen sie sonst positiv stärken. 

Als ich zum Schluss komme: Stille. 

Niemand hat eine Frage, niemand hat etwas zu sagen. Die Lehrkraft schlägt vor, dass sie die Stunde zum Nachdenken nutzen, kurze Beiträge dazu schreiben könnten und bedankt sich bei mir.
Der Bildschirm geht wieder aus. Ich bin irritiert. Ich hatte erwartet, dass wir über verschiedenste Personen diskutieren, die Klasse von ihrem Leben und ihren Zielen spricht und wer sie dazu motiviert.  

Nix da.

Klasse
Auf der Suche

Ist die Frage echt zu schwer?

Ich frage mich, ob die Frage nach Vorbildern, die ich da gestellt habe, vielleicht zu schwer ist. Seine wahren Vorbilder zu kennen, erfordert Selbstreflexion. Nur wenn wir wissen, was uns selbst ausmacht, was wir noch dazu lernen möchten und wo wir im Leben hinwollen, sehen und schätzen wir die Menschen, die uns diesen Weg zeigen. Diejenigen, die diesen vorgehen und zeigen, dass unsere Ziele erreichbar sind. Diejenigen, die uns dabei immer wieder motivieren, begeistern und ziehen. Und dann müssen wir auch noch ganz ehrlich mit uns selbst sein und uns trauen, uns einzugestehen, dass wir unseren eigenen individuellen Weg auch am Vorbild anderer ausrichten.

Auf meinem Handy erscheint eine Nachricht: die Lehrerin schreibt mir sichtlich überrascht: „Erstaunlicherweise haben ziemlich viele keine Vorbilder 😨 - So jung und keine Interessen 😖“

Das will ich noch nicht ganz glauben. Da muss es doch etwas geben. Auch wenn die Frage schwer ist, vielleicht bemerken die Jungen und Mädchen in dem Prozess noch, ob und wer für sie - wenn auch entfernt - ein Vorbild ist.

Ich warte auf die schriftlichen Antworten. Nach und nach trudeln ein paar Texte bei mir ein. Die Jugendlichen schreiben von Familienmitgliedern, Fußballern, Rappern und beruflichen Vorbildern: Eine Schülerin möchte vielleicht Lehrerin oder Anwältin werden, weil sie bemerkt hat, dass diese beruflich Menschen weiterhelfen. Vielleicht aber auch doch lieber Inneneinrichterin.

Sein eigener Held sein
Zusammen

„Vorbilder? Sowas brauche ich nicht“ – ganz sicher?

Einige beschreiben die Lebenswege der Stars, denen sie nachstreben; andere, warum die Familie, die sie kennt und unterstützt, doch das einzig wahre Vorbild für sie ist. Ich merke, dass mich diese Vielzahl an unterschiedlichsten Antworten nun doch erstaunt. Damit hatte ich nach dem Besuch in der Klasse nicht gerechnet.

Ein nicht unerheblicher Teil der Texte überrascht mich besonders: die Texte, in denen die Jungen und Mädchen erklären, dass sie kein Vorbild haben und niemanden brauchen, der ihr Leben leitet. Es ginge doch um ihr Leben und da wollten sie sich nicht mit anderen vergleichen.

Ein Schmunzeln kommt mir auf die Lippen. Ich verstehe ihren Gedanken und wünschte mir, ich hätte mich in dem Alter auch schon so klar darauf berufen können, dass ich nicht wie jemand anders bin oder werden kann.
Auf der anderen Seite frage ich mich, ob das wirklich so stimmt. Anfangs habe ich für mich festgehalten: Ein Vorbild ist jemand, der einen nachhaltig positiven Eindruck und Orientierung in mein Leben bringt. Jemand, der eine Eigenschaft sehr ausgeprägt besitzt, die ich mir selbst mehr wünsche oder jemand, der einen Schritt gegangen ist, den ich mir selbst nun auch vorstellen kann und zutraue.

Ich lese häufig etwas Ähnliches in den Texten aller Schülerinnen und Schüler – ob sie nun festgehalten haben, dass sie Vorbilder haben oder auch nicht „Wenn ich jemanden wählen müsste...“, „Natürlich gibt es Menschen, die Dinge können, die ich gerne besser können würde.“ und „Vorbilder sind für mich einfach Menschen, die man gerne mag.“

Wer sucht, der findet!

Im Grunde scheinen wir sie alle zu haben: die Menschen in unserem Leben, die uns begegnen, inspirieren, antreiben. Die uns vormachen, was möglich ist. Ob es kleine oder große Dinge sind, die sie uns mitgeben; viele oder wenige. Es gibt sie, die Vorbilder. Wir müssen sie nur sehen wollen.

Über Vorbilder nachzudenken, meine zu suchen, das Konzept grundlegend zu hinterfragen und die Schülergedanken zu lesen, hat mir wider Erwarten aufgezeigt, dass wir alle ganz natürlich Vorbilder haben. Wir brauchen sie und im Moment mehr denn je. Gerade nach dieser frustrierenden und lähmenden Zeit können sie uns dabei helfen, aufzustehen, unsere Ziele wieder in den Blick zu nehmen und an unsere Stärken zu entdecken.

Daher mein Wunsch: Macht die Augen auf und schaut euch um. Wo sind eure kleinen und großen Vorbilder?

Die Mama, die immer für alle ein offenes Ohr hat. Der Freund, der im Kampf gegen eine Krankheit seine Stärke zeigt. Die Politikerin, die sich einsetzt gegen Diskriminierung und Hass. Der Promi, der durch seinen Ehrgeiz und sein Talent begeistert. Die Lehrenden, Pflegenden, Erziehenden und vielen anderen, die uns mit ihrer Leidenschaft im Beruf beeindrucken.
Oder immer noch Lena? 

Sucht sie! Findet sie! Werdet selbst Vorbilder für andere!

Das große Vorbild
Krankenschwester

Folgend sind ausgewählte Texte der Schülerinnen und Schüler der 7d von dem Gymnasium Delbrück zu finden, die sich mit der Frage 'Wer oder was sind meine Vorbilder?' beschäftigen. 

„Meine Familie - Mein Idol“, Juliana A.

Familie im Wald

Ich sehe Vorbilder als Menschen, denen man mal nacheifern kann oder die einem Tipps geben, wenn man mal Hilfe braucht oder nicht mehr weiter weiß. 

Deshalb ist mein Idol meine Familie. Sie ist immer für mich da und hilft mir, falls mal etwas schiefgelaufen ist. Meine Familie kennt mich besser als jede andere Person. Viele aus meiner Familie haben gekämpft und ihren Traum erreicht, wie mein Onkel, der Fußballspieler war oder mein Cousin, der seine eigene Firma leitet.

Grundsätzlich finde ich, dass man nicht viele Idole oder Vorbilder haben sollte, weil man auch sein eigenes Ding durchziehen und auch mal an sich selber glauben sollte. 

Zieh es durch, glaube an dich und mach es auf deine eigene Art und so, wie du es richtig findest.

„Vorbilder zur beruflichen Orientierung“, Mara O.

Wegweiser

Ich liebe es, Menschen etwas beizubringen und sie zu unterstützen. Irgendwie verleiht es in mir Hoffnung und Freude, weil ich weiß, dass ich jemanden helfen kann. Dieses Gefühl - diese positive Ausstrahlung, bekomme ich schon, wenn ich meiner Schwester eine Kleinigkeit zeige, ihr helfe, etwas zu basteln oder meinen Freunden etwas erkläre. Vielleicht macht mir genau aus dem Grund auch die Schule Spaß. Ich finde es toll, wie die Lehrer*innen uns jeden Tag aufs Neue versuchen, etwas beizubringen. Deshalb überlege ich, ob ich Lehramt studieren soll.

Menschen verteidigen, auch in schweren Zeiten für sie dazu sein, mit Menschen, die man nicht ausstehen kann, respektvoll umgehen - diese und viele weitere Aufgaben erledigen viele Anwälte Tag für Tag. Sie kümmern sich darum, dass Schuldige ihre Strafe bekommen und Unschuldige eine Entschädigung. Sie verteidigen ihre Mitbürger und setzten sich für sie ein. Das tun sie obwohl sie wissen, dass sie es nicht machen müssten. Diese Menschen sind für mich in beruflicher Hinsicht ebenfalls Vorbilder und vielleicht gehöre ich auch eines Tages zu denjenigen, die versuchen, ihr Bestes für ihre Mitmenschen zu geben. Das zumindest ist mein Wunsch.

Pläne gehören zu meinem Tagesablauf - ohne Ordnung geht bei mir gar nichts: bei einem unordentlichen Zimmer bin ich bei den Hausaufgaben unkonzentriert, etc. Aber lieben tue ich diese Pläne deswegen nur noch viel mehr. Weil mich auch Mathe begeistert, überlege ich, Innenarchitektin zu werden. Und wer weiß, vielleicht plane ich in Zukunft ihr neues Haus?!

„Das eine Vorbild habe ich nicht“, Philipp S.

Individualität

Ich habe kein Vorbild, da ich nicht so sein will wie andere und finde, dass man so sein sollte, wie man sein möchte. Für mich gibt es keine Menschen, die ich als Idol ansehe, da ich mein Leben nicht nach irgendwelchen Menschen richten will. 

Ich schaue YouTuber, aber sie sind für mich kein Vorbild. Ich finde, dass sie gute Videos machen und nett, lustig sind, aber ich möchte nicht selbst YouTuber werden. Sie spielen das gleiche Videospiel wie ich und machen V-logs. Ich würde vielleicht auch gerne Sachen können, die sie können, schaue sie regelmäßig und finde sie gut, aber sie sind für mich deswegen kein Idol. 

Vielleicht würde ich gerne so schlau wie Hawking sein, so gut Minecraft spielen wie Basti GHG, so gut Rocket League spielen wie Jstn oder bessere Filme machen als Steven Spielberg.Aber dies sind für mich nur Eigenschaften, die ich gerne besitzen würde, Vorbilder aber sind für mich einfach Menschen, die man gerne mag.

„Vorbilder als Ausblick und Beispiel für mein Leben“, Nina C.

Architekt

Tag für Tag ist meine Familie für mich da. Sie hilft mir, wenn ich zum Beispiel mal Probleme habe oder es mir nicht so gut geht. Und sie bringt mich zum Lachen, wenn ich mal traurig bin. Man kann von seiner Familie so viel lernen - vom Kuchen backen bis zum respektvoll miteinander umgehen.

Einige in meiner Familie haben für ihren Traum gekämpft und nicht aufgegeben, bis sie ihren Traum und somit ihr Ziel erreicht haben. Darunter ist meine Schwester. Sie träumte schon immer davon, Ärztin zu werden bzw. Medizin zu studieren. Da sie ihr Abitur mit einem Durchschnitt von 1,0 bestanden hat, suchte sie nach einer Universität, um Medizin zu studieren. Sie gab nicht auf, bis sie schließlich angenommen wurde. Meine Schwester inspiriert mich sehr, weil sie mir ein Beispiel gibt, wie ich für meinen Berufswunsch kämpfe und ihn gestalte.

Seit ich drei Jahre alt war, war ich oft an meinem Maltisch. Seit ich einen Stift halten konnte, malte ich viele Bilder. Zuerst fing ich klein an - malte Strichmännchen. Nach einiger Zeit malte ich realistische Gesichter und schließlich zeichnete ich Räume und dekorierte diese. Weil ich die meiste Zeit damit verbringe, Räume zu gestalten, ist mein Berufswunsch, Innenarchitektin zu werden, weil mich dieses Gestalten von Räumen sehr inspiriert.

Im Allgemeinen finde ich Vorbilder gut, weil sie einem einen Ausblick für sein Leben bieten und ein Beispiel geben, wie man seine Träume verwirklicht. Ich finde an Vorbildern ebenfalls gut, dass man sie von ihnen Tipps holen kann, wenn man nicht mehr weiter weiß.


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