Hände sind zum Gebet geöffnet.
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18.06.2020
Body + Soul

War Jesus wie Du und Ich?

Dr. Cornelia Dockter beschäftigt sich mit der Frage, wie Jesus gleichzeitig Mensch und Wort Gottes sein kann

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von Tobias Schulte

Mit dem Glauben ist es ein bisschen so, wie bei Netflix. „Wenn wir Serien gucken, ist es wichtig, dass wir uns mit den Hauptfiguren identifizieren können“, sagt Dr. Cornelia Dockter, Theologin an der Universität Paderborn. Im Christentum heißt diese Hauptfigur: Jesus Christus. Doch wie können wir uns diesen Charakter vorstellen?

War Jesus ein Mensch, der ganz anders als Du und Ich war und deshalb zeigt, wie Menschsein in Perfektion aussieht? Oder hatte er mehr menschliche Seiten, Fehler, Schwächen, menschliche Bedürfnisse wie Hunger und Durst – und hat es trotz allem geschafft, sündlos zu leben und die Beziehung zu Gott aufrecht zu erhalten? In theologische Begriffe gefasst: Ist Jesus primär Wort Gottes oder ein geisterfüllter Mensch? Es ist die Frage, mit der sich die 33-Jährige fünf Jahre lang in ihrer Dissertation beschäftigt hat. Klingt vielleicht „nur theologisch“, hat aber durchaus einen Einfluss darauf, ob man diesem Jesus überhaupt folgen kann.

Ausgezeichnete Dockter-Arbeit
Für ihre Dissertation hat Cornelia Dockter den Friedrich-Spee-Preis der Theologischen Fakultät Paderborn und der Bank für Kirche und Caritas Paderborn erhalten. Sie arbeitete mit den christologischen Konzepten von Georg Essen und Roger Haight. Essen denkt Jesus Christus als das Wort Gottes, aber nicht als geisterfüllten Menschen. Haight dagegen denkt Jesus nur als geisterfüllten Menschen und blendet dagegen die Göttlichkeit Jesu weitestgehend aus.

Vom Koran zum eigenen Glauben

Um die Frage nach dem Charakter Jesu Christi für sich zu klären, ist Dockter gewissermaßen eine wissenschaftliche Reise angetreten. Ausgehend von den christlichen Theologen Georg Essen (Team „Wort Gottes“, Universität Berlin, Team Wort Gottes) und Roger Haight (Team „geisterfüllter Mensch“, früherer Präsident der katholisch theologischen Gesellschaft Amerikas, , vom Vatikan die Lehrerlaubnis entzogen). Weiter zum Koran, der Jesus als Propheten kennt – und Propheten als Menschen versteht, die vom Geist Gottes erfüllt sind. Von da aus ging es zurück zu ihrem eigenen Glauben.

Cornelia Dockter
Cornelia Dockter

Das Ergebnis dieser wissenschaftlichen Reise kann Dockter auf eine kurze Beschreibung zusammenfassen: Jesus Christus ist geisterfülltes Wort. Ein Begriff, der erklärt werden muss.

Geisterfüllt seien nach christlichem Verständnis alle Menschen. „Auch Jesus Christus brauchte den Geist, um Offenbarung für uns sein zu können“, erklärt Dockter. Offenbarung – wieder so ein theologischer Begriff, der sich nicht richtig greifen lässt. Damit sei gemeint, dass Gott sich uns Mensch zeigt.

„Wenn mein Nächster etwas Gutes für mich tut“, erklärt Dockter, „dann ist er Wort Gottes für mich. Dann spricht Gott zu mir, dann begegnet er mir, dann offenbart er sich.“ Somit könne jeder Mensch, durch den Geist erfüllt, zum Wort Gottes für andere werden. So auch Jesus Christus, der gerade, weil er geisterfüllter Mensch war, Gottes Wort in Höchstform sein konnte. Zusammen genommen: Jesus Christus als geisterfülltes Wort.

»Ich stelle mir Jesus nicht als Übermenschen vor, dem ich eh nicht nacheifern kann. Ich gehe davon aus, dass Jesus mit den gleichen Problemen gelebt hat, mit denen auch wir leben. Auch er musste kämpfen – und er hat es hinbekommen. Deswegen ist es unser Anspruch, es auch hinzubekommen.«

Dr. Cornelia Dockter
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Systematische Theologie der Universität Paderborn

Dieses Ergebnis, sagt Dockter selbst, wirke von außen unspektakulär. „Da muss man in christologischen Debatten drin sein, um zu verstehen, dass man sich auf 400 Seiten damit beschäftigt.“ Der Blick in den Koran habe dabei gezeigt, dass auch andere Religionen die christologische Debatte bereichern können. Dockter: „Durch den Koran konnte ich Lösungsansätze in meinem eigenen Glauben finden. Ich finde es faszinierend, dass die Begriffe Wort und Geist, die in der christlichen Offenbarung so eine große Rolle spielen, auch im Koran entscheidend sind – ohne, dass die Schriften ein Einheitsbrei sind.“

Das Thema interreligiöser Dialog begleitet Cornelia Dockter seit ihrer Zeit an der Universität Paderborn. 2013 wechselte sie von ihrer Heimatstadt Bonn nach Paderborn. Im Rheinland wuchs sie christlich sozialisiert auf. „Ich habe das gesamte Programm mitgemacht“, sagt Dockter, „katholische Schule, Messdienerin, regelmäßige Gottesdienste“. Dann habe es sie irgendwann genervt, zu wenig davon zu wissen und zu verstehen, womit sie täglich zu tun habe. „Ich wollte meinen Glauben nicht nur auf der Gefühlsebene nachvollziehen können, sondern auch rational verteidigen können“, sagt sie. Die Antwort: Theologiestudium?! Dockter ging zu einem Tag an der Uni Bonn, an dem die verschiedenen Fächer vorgestellt wurden. Sie war von der Theologie angefixt.

Frau Dr. Dockter

Zunächst studierte sie auf Lehramt, nach dem Ersten Staatsexamen wechselte sie dann in den Promotionsstudiengang in Volltheologie an der Theologischen Fakultät Paderborn. Quasi um Frau Dr. Dockter zu werden.

Heute forscht Cornelia Dockter als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Uni Paderborn und hält Vorlesungen. Ihre Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2020 lauten „Alles nur Glaube. Religionskritik in Geschichte und Gegenwart“ oder „Zwischen Lebenswirklichkeit, Gotteserfahrung und Sinnverlust. Was sagen uns die Sakramente heute noch?“. Sie genieße es, das zu vermitteln, wovon sie selbst begeistert sei, und mit jungen Menschen zu diskutieren. „Sie stellen die Fragen, die unangenehm sind und auf die man Antworten finden muss“.

Cornelia Dockter während des Interviews via Videokonferenz.
Cornelia Dockter während des Interviews via Videokonferenz.

Die Hoffnung, dass alles von einem guten Geist geprägt ist

Sie selbst zähle für ihre Generation zu den „fleißigen Kirchgängern“, sagt Dockter. Sie genieße es, in der Kirche in eine Gemeinschaft eingebunden zu sein. Umso mehr habe es sie geschmerzt, an Ostern nicht wie gewohnt Gottesdienst feiern zu können. „Doch beim Abendessen mit meinen Freunden“, sagt Dockter, „diskutiere ich dann nicht nochmal den Jesus thematisch durch. Ich würde auch behaupten, dass ich ein recht normales Freizeitverhalten habe“. Sie gucke gern Serien, aber nur welche ohne Gewalt, da sie dafür zu zart besaitet sei. Sie treffen sich gern mit Freunden, „was auch nicht so spannend klingt“. Sie koche gern und probiere momentan neue, vegetarische Gerichte aus.

Wenn Cornelia Dockter all ihre Hobbys ohne Bezug zur Kirche aufzählt, sagt sie danach: „Der Glaube ist für mich natürlich so die Basis. Meine ganze Art und Weise, auf die Welt zu schauen, ist total durchtränkt vom Glauben“. Sie blicke grundsätzlich positiv auf die Welt und die Menschen. „Ich gehe davon aus, dass die meisten Menschen es gut meinen – und ich versuche zu verstehen, aus welchen Beweggründen Menschen etwas tun. Christlich gesprochen gehen wir davon aus, dass jeder Mensch von Gott gewollt ist.“

Ihr sei bewusst, dass das eine idealistische Aussage sei, auch ihr selbst gelinge dieser Blick nicht immer – aber sie versuche es. „Die Hoffnung, die mich trägt, ist, das alles, was lebt, von einem guten Geist geprägt ist. Es gibt zwar viel Schlechtes da draußen, aber die Hoffnung ist da, dass letztendlich in den Menschen das Gute ist – und dass es das ist, was die Menschen ausmacht: das Gute.“

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