31.01.2023

Was lernen Sie gerade, Dr. Michael Bredeck?

Wie ist es, eine ungeahnte Herausforderung anzunehmen? Interview mit Diözesanadministrator Monsignore Dr. Michael Bredeck.

von Tobias Schulte

Wie ist es, plötzlich vor einer großen Aufgabe zu stehen? Eine ungeahnte Herausforderung anzunehmen? Was früher oder später auf jeden jungen Menschen zukommt, erlebt gerade Monsignore Dr. Michael Bredeck. Er ist zum Diözesanadministrator, also zum Übergangs-Chef des Erzbistums Paderborn gewählt worden. So lange, bis ein neuer Erzbischof im Amt ist.

Ich möchte von ihm wissen, was er gerade lernt. Was diese große Verantwortung mit ihm macht. Wie es ist, mit Erwartungen umzugehen - und erfahre, dass er meint, eigentlich gar kein selbstbewusster Typ zu sein.

Was lernen Sie gerade, was sie noch nicht so gut können?
Mich auf den Ebenen der Bischofskonferenz und der Weltkirche zu bewegen. Beim Ad-Limina-Besuch der Deutschen Bischöfe in Rom kam ich am Montagmorgen um 7:15 Uhr in die Sakristei im Petersdom – und dann standen da all diese Bischöfe, die ich zum Teil noch nie persönlich gesehen hatte.

Menschen, die man sonst nur aus den Medien kennt?
Ja. Und jetzt stehen die dir gegenüber und sind im Augenblick deine Kollegen, wenn man das so nennen will. Sie haben mich sehr freundlich aufgenommen, muss ich sagen.

Was hilft Ihnen dabei, sich dort zurechtzufinden?
Das geht relativ schnell, wenn du eine Rolle hast und sie ausfüllst. Schlimm ist ja, wenn du eine Rolle hast, sie aber nicht ausfüllst. Dann entsteht ein Vakuum. Was mir auch noch einfällt: Ich muss lernen, die Rolle des Leiters von allen anderen im Erzbistum Paderborn auszufüllen. Für eine überschaubare Zeit ganz vorne zu stehen.

Es gibt im Bistum niemanden über Ihnen.
Ja. Ich habe schon gemerkt, dass sich der Blick auf mich und der Umgang mit mir in manchen Fällen verändert haben.

Inwiefern?
Es ist teilweise reservierter. Vorsichtiger.

Menschen gehen eher auf Distanz, weil Sie mehr Macht haben?
Ja, so in etwa. Oder weil sie meinen, ich hätte diese Macht. Oder irgendein Wissen.

Diözesanadministrator Dr. Michael Bredeck (dritter von links) und die Deutschen Bischöfe beim Ad-Limina-Besuch in Rom zusammen mit Papst Franziskus.

Sind Sie ein selbstbewusster Typ?

Gesprächsforum beim Ad-Limina-Besuch der Deutschen Bischöfe in Rom.

Sind Sie ein selbstbewusster Typ?
Das würde ich nicht so sagen. Früher habe ich mich eher als schüchtern erlebt. Heute ist es so: Ich trete sicher auf, stehe ja oft sehr vielen Menschen gegenüber und derzeit auch vielen Mitarbeitenden im Bistum. Das heißt aber nicht unbedingt, dass ich ein selbstbewusster Typ bin. Es kommt drauf an, in welchem Setting ich unterwegs bin.

Und zwar?
Ich bin zum Beispiel eher zurückhaltend, wenn ich irgendwo rein privat bin, wo viele Leute sind, die ich nicht kenne. Da taste ich mich eher vor. Im beruflichen Kontext ist die Rolle natürlich klar und da ist Vortasten nur bedingt angesagt. Da muss ich eher Stellung beziehen, auf großen Konferenzen sprechen oder auch repräsentieren, immer wieder neue Leute kennenlernen oder auch Smalltalk betreiben. Da muss ich mich manchmal schon auch etwas drauf einlassen. Der ‚Privatmensch‘ Michael Bredeck und der Rollenträger, Priester, Bereichsleiter, Administrator, das ist schon ein Unterschied. Das wird wohl bei vielen Menschen so sein.

Dazu kommt: Wenn man selbst unsicher ist, aber sicher auftreten kann, dann denken Leute, dass man selbstsicher ist …
Ja. Ich war früher auch harmoniebedürftiger. Ich habe mich früher schwergetan, Menschen klares Feedback zu geben. Das habe ich durch den Beruf notwendigerweise gelernt. Wenn du das in einer Leitungsrolle nicht kannst, dann gehst du unter. Und wenn das über Jahre so ein Lernweg ist, wirkt sich das auf den Menschen insgesamt aus. Insofern habe ich mich auch als Typ verändert. Das kriege ich auch durchaus auch im privaten Kontext zurückgespiegelt.

Was genau?
Dass ich forscher geworden bin. Direkter. Oder auch ungeduldiger.

»Der ‚Privatmensch‘ Michael Bredeck und der Rollenträger, Priester, Bereichsleiter, Administrator, das ist ein Unterschied.«

Msgr. Dr. Michael Bredeck
Diözesanadministrator des Erzbistums Paderborn

Wodurch?
Ich bin seit Jahren gewohnt, dass ich in meinem Beruf ins Gegenüber gehe, teilweise auch die Richtung vorgeben kann, Dinge anstoßen oder auch verändern kann. Oder dass ich im Gespräch mit Mitarbeitenden sage: Ich möchte, dass darüber nachgedacht wird – und dann wird das getan, wenn wir vereinbaren, dass wir wieder über das Thema sprechen werden.

Wenn Sie auf den schüchternen Michael Bredeck schauen, was haben Sie dann vor Augen?
Das war vor allem in der Schulzeit und zu Beginn des Studiums. Da war ich eher zurückhaltend. Ich war auch nicht so der Party-Typ, aber das war sowieso eine ganz andere Zeit, das kann man nicht mit heute vergleichen.

Wie? Sie haben doch gefeiert? Es gab doch damals auch Partys?
Ja, aber das war doch ziemlich anders als heute. Ich bin in den 80er Jahren großgeworden, da gab es zwar in meiner Heimatstadt Lünen Kneipen und in Dortmund Discos, aber das war alles noch nicht so selbstverständlich und ausgelassen wie heute. Das war auch alles finanziell noch nicht so möglich. In der Studienzeit habe ich mich dann zu einer eher offenen Persönlichkeit entwickelt. In den Jahren ist mein Interesse an Menschen und meine Freude an Kontakten stark durchgekommen.

Was hat Ihnen dabei geholfen?
Vor allem mein Freisemester in Rom. Da war ich sehr weit weg von Zuhause und ich musste alles selbst gestalten. Kontakte suchen. Damals gab es ja noch kein E-Mails, kein Handy. Um mit meinen Eltern zu telefonieren musste ich mir eine Telefonzelle im Bahnhof Stazione Termini zuweisen lassen. Das war eine andere Zeit: Die Zeit vor der digitalen Zeit. Ich habe ja auch noch ohne Computer studiert.

Über Rolle und Persönlichkeit

Wow. Das kann ich mir gar nicht vorstellen: Allein als Student in Rom, ohne Handy. Ich würde sofort online danach suchen, wie ich von A nach B komme – oder wo ich heute Abend etwas essen kann. Wie sind sie da zurechtgekommen?
Ich musste lernen, von mir aus auf Leute zuzugehen. Zum Beispiel habe ich in einem Chor der deutschen Pilgerseelsorge gesungen. Da waren sowohl deutsche Studenten als auch Italiener dabei, mit denen ich dann in Kontakt gekommen bin. Das Jahr in Rom war für meine persönliche Entwicklung unendlich wichtig. Aber auch die Studienjahre in Paderborn waren Jahre, in denen ich mich sehr weiterentwickelt habe. In Rom habe ich auch angefangen, Gruppen durch die Stadt zu führen, was ich bis vorletztes Jahr gelegentlich noch mit Gruppen aus unserem Erzbistum gemacht habe.

Auch dabei hat diese gewisse Rolle geholfen, oder?
Eine Rolle verleiht ja immer eine gewisse Sicherheit. Und andersherum füllt die Persönlichkeit die Rolle. Als ich das erste Mal Lektor im Gottesdienst meiner Heimatgemeinde war, war ich den ganzen Nachmittag vorher total aufgeregt. Das kann ich mir heute überhaupt nicht mehr vorstellen. Heute bin ich es gewohnt, vor vielen, oft vor Hunderten Menschen zu stehen und zu sprechen – und gleichzeitig gibt es auch immer wieder neue Situationen, in denen ich mich überwinden muss. Wie beim Ad-Limina-Besuch in Rom. Als ich da inmitten der Bischöfe stand und auch in der Aula einmal das Wort hatte: Da musst du dann einfach reden. Einfach reden.

Welche Erwartungen spüren Sie?

Sie sind recht unerwartet und vorübergehend in die Champions-League der Kirchenvertreter aufgestiegen. Welche Erwartungen spüren Sie?
Das kommt aufs Thema an. Ich spüre die Erwartung, dass ich ein gutes Klima, eine gute Kommunikation innerhalb des Bistums ermögliche. Von einigen Befürwortenden des Synodalen Wegs sind Erwartungen an mich formuliert worden. Ansonsten spüre ich Erwartungen nicht so direkt. Ich spüre eher, dass viele Menschen über die Wahl überrascht waren. Es haben sich auch viele Leute gefreut. Ich glaube, dass viele Menschen denken: Es ist ein Zeichen für Kontinuität. Gleichzeitig bin ich natürlich deutlich jünger als der Erzbischof. Es ist eine andere Generation, ein anderer Stil und damit auch eine große Chance, einen Übergang zu gestalten. Der Erzbischof hat ja selbst gesagt, dass er die Leitung des Bistums in jüngere Hände legen wollte. Das beginnt jetzt mit mir als Übergangsleiter.

Dennoch: Wie ist es für Sie, mit Erwartungen umzugehen?
Das stresst mich nicht, weil ich für mich selbst Ziele formuliert habe.

Was sind Ihre Ziele?
Dass ich möglichst gut die Leitung im Generalvikariat und die Bischöfe zu einem Team, zu einem Miteinander begleiten möchte. Das zweite Thema ist: Kommunikation ins Bistum hinein. Drittens möchte ich einen Beitrag dazu leisten, dass Zuversicht und Hoffnung stärker werden als die Depression in unserer Kirche.

Hoffnung und Zuversicht kann man nur weitergeben, wenn man die auch selbst hat. Woher ziehen Sie die?
Ich bin grundsätzlich ein positiver Mensch – und ich bin davon überzeugt, dass der Glaube an Jesus Christus ein Hoffnungspotential hat. Der Glaube kann unglaublich wichtig sein für diese Welt, in der Menschen gesucht werden, die Hoffnung vermitteln. Wir Christen haben ein positives Menschenbild, wir sind auf Ausgleich und Versöhnung bedacht.

Wie berührt Sie der Glaube an Gott persönlich?
Der Text des Lieds „Ich glaub an einen Gott, der singt“ beschreibt das ganz gut. Da ist davon die Rede, dass wir alle Teile der Melodie sind, die Gott singt. Das berührt mich jeden Tag in einer kleinen Form. Ich glaube, dass mich Gott jeden Tag anrührt. Durch ein schönes Gespräch oder eine schwierige Situation. Ich bemühe mich, in dieser Gottesverbindung zu bleiben. Oder besser: Ich glaube daran, dass Gott mit mir durch die alltäglichen Dinge Verbindung hält. Und durch die großen Dinge natürlich auch. Ich glaube, dass mich Jesus Christus permanent fordert, wenn ich versuche, mich nach ihm auszurichten. Der Glaube an Jesus ist etwas Lebendiges. Etwas, das Kraft fordert und gibt. Ich soll niemals einfach so bleiben, wie ich bin. Nicht bequem werden. Das berührt mich, weil ich viele Menschen erlebe, die auch versuchen, sich auf ihn auszurichten.

Vielen Dank für das Gespräch.

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