Schwester Lucia im Garten des Mutterhauses der Franziskanerinnen Salzkotten.
07.12.2023
BODY + SOUL

Was sein soll

Schwester Lucia über das feine Gespür, was im Leben dran ist

von Tobias Schulte

Schwester Lucia aus Salzkotten ist eine der bekanntesten Ordensfrauen in Deutschland. Zumindest gerade. Bei der ARD-Doku „Deutschland, gottlos?“, die im Oktober erschienen ist, ist sie eine der Protagonisten. Diverse Regionalblätter und auch die WELT haben schon über sie und ihr Leben bei den Salzkottener Franziskanerinnen berichtet. 

Liest und schaut Schwester Lucia alles, was über sie veröffentlicht wird? „Auf jeden Fall“, sagt sie, „weil es mich unglaublich interessiert, was die Journalisten, die mich interviewet und gefilmt haben, daraus gemacht haben. Das ist wie ein Spiegel, der mir vorgehalten wird“.

Ein Beispiel: Als die 29-Jährige für die ARD-Dreharbeiten bei der Stillen Anbetung gefilmt wird, ist sie nervös. Doch die Reporterin bewundert im Film, wie „glücklich“ sie wirke. „Das war eine schöne Rückmeldung“, sagt Schwester Lucia. „Selbst wenn ich innerlich aufgeregt bin, scheine ich trotzdem Ruhe und Zufriedenheit auszustrahlen.“

Schwester Lucia

»Glaube ist wie ein Herz, das pumpt. Es zieht sich zusammen, um Blut aufzunehmen und gibt das Blut dann weiter. Ich schöpfe Kraft und gebe aus meiner Kraft etwas an andere weiter.«

Schwester Lucia
29, Novitiatin bei den Franziskanerinnen Salzkotten

Studium, Ausbildung, Freiwilligendienst

Was in einer Geschichte über Schwester Lucia nicht fehlen darf: Ihr besonderer Weg ins Kloster. Die 29-Jährige ist im Vergleich zu vielen anderen Menschen genau dem umgekehrten Weg gegangen. Erst Studium, dann Ausbildung, dann Freiwilligendienst. 

Nach dem Abitur hat sie studiert. Geowissenschaften in Hannover. Als sie den Bachelor abgeschlossen hat, weiß sie: „8 Stunden im Büro zu sitzen oder im Labor zu stehen, das ist nicht mein Ding.“ 

Dann startet sie eine Ausbildung. Zur Bäckerin. Nach der Ausbildung ist klar, dass auch das nicht ihr Beruf fürs Leben sein wird. Sie bekommt eine Mehlstauballergie. Dann schließt sie ein Freiwilligendienst an. Ein Freiwilliges Ordensjahr, bei den Franziskanerinnen in Salzkotten.

Luftaufnahme des Mutterhauses der Franziskanerinnen Salzkotten.

Nicht wollen, nicht müssen. Sollen.

Warum sie diesen Weg gefunden hat, ist schon treffend in anderen Texten beschrieben. Deshalb unterhalten wir uns mehr darüber, wie sie sich innerlich dabei gefühlt hat, die Entscheidung für das Leben bei den Franziskanerinnen in Salzkotten zu treffen.

„Das hat Zeit gebraucht“, sagt Schwester Lucia. „Das ist, glaube ich, auch wichtig für Entscheidungen, dass man sich Zeit zum Horchen nimmt: Was ist in mir? Was will Gott eigentlich?“

Dann sagt sie einen Satz, der gleichzeitig beruhigt und herausfordert: „Im Leben geht es ja nicht darum, was wir wollen oder was wir denken tun zu müssen. Es geht um die Frage: Was sollen wir?“

Sie erklärt: „Das heißt gerade nicht, dass etwas von außen aufgedrückt wird. Es geht darum, sich vom Inneren her zu fragen: Was soll eigentlich sein? Ich glaube, dass der Mensch ein Gespür dafür hat und das auch trainieren kann, was sein soll.“

Nachfrage: Was sein soll – ist es das, was Christen Gottes guten Plan nennen? Ist es das, was andere Menschen auch als im Flow sein beschreiben würden? Antwort: „Ja. Ich sehe Gott als Lebensatem, der in allem weht. Gehen wir da mit oder nicht? Das heißt nicht, dass ich alles tun muss, was an mich herangetragen wird. Manchmal ist das Nein sagen im richtigen Augenblick auch genau das, was das Leben fördert.“

»Es gibt schon Situationen, in denen ich aus Fehlern lernen kann. Aber ich glaube nicht, dass Gott uns Türen zumacht. Er führt uns dann durch die Umleitung.«

Schwester Lucia

Gehe ich mit?

Schwester Lucia sagt, dass es eine lebenslange Aufgabe ist, zu lernen, was sein soll und was nicht. Wo der Lebensatem Gottes weht und wo nicht. Und sie weiß auch, von wem sie das lernen kann: „Ich bewundere meine älteren Mitschwestern dafür, wie fein deren Wahrnehmung dafür ist.“

Heißt auch, dass Schwester Lucia immer mal wieder das Gefühl hat, sie hätte anders entscheiden sollen? Sie antwortet: „Es gibt schon Situationen, in denen ich aus Fehlern lernen kann. Aber ich glaube nicht, dass Gott uns Türen zumacht. Er führt uns dann durch die Umleitung.“

Das Gefühl, sich voll einzubringen

So eine Umleitung erlebt sie auch gerade. Eigentlich hätte sie vor zwei Wochen ihre Erste Profess ablegen sollen. Die große Feier, mit der sie für drei Jahre verspricht, ihr Leben in dem Orden zu leben. Doch wenige Tage vor der Feier erkrankt sie an Corona.

„Auch wenn das ärgerlich und schade ist, denke ich: Es soll so sein. Es ist gut so, dass ich mir jetzt noch einmal Zeit nehmen darf bis zur Profess.“ Der Termin für die Feier ist noch nicht wieder geplant. Doch Schwester Lucia hat schon das Gefühl, dass es so sein soll, dass sie bei den Franziskanerinnen lebt. 

Sie sagt: „Das heißt nicht, dass es immer einfach ist. Es gibt auch Tage, an denen mir die Decke auf den Kopf fällt. Aber ich fühle mich bei den Mitschwestern sehr wohl und habe das Gefühl, dass ich mich mit meinen Gaben voll einbringen kann.“

Ihre „Gaben“, das seien vor allem Kreativität und Begeisterungsfähigkeit, wie Schwester Lucia erzählt. Sie liebt es, das Design für Brotbackmischungen und die Insta-Storys der Gemeinschaft zu gestalten. Ihre Begeisterung für die Schöpfung gibt sie weiter, wenn sie zum Beispiel einen Vortrag über Vulkane für Schulkinder hält.

Glaube - wie ein Herz, das pumpt

Beim Fahrradfahren tankt Schwester Lucia neue Energie

Zurück zur ARD-Doku. Darin wird Schwester Lucia darauf angesprochen, dass immer weniger Menschen an Gott glauben – aber dafür Yoga und Meditation voll im Trend sind. In der Doku antwortet sie, dass Yoga und Meditation an sich gut seien, aber oft nur auf sich selbst bezogen: „Wir haben den anderen nicht mehr mit im Blick. Yoga kann ich auch allein machen. Natürlich kann ich auch allein beten, aber es ist immer auf den Nächsten verwiesen, wenn man in einer Gemeinschaft zusammen ist.“

Eine Aussage, über die es zu sprechen lohnt. Schwester Lucia erklärt: „Ich wollte damit nicht sagen, dass Glaube nur in Gemeinschaft zu leben ist. Ich muss immer wieder auch persönlich Kraft schöpfen. Dafür sind Meditation und Gebet eine gute Möglichkeit, aber auch Spazierengehen oder Malen. Das ist das, was uns zu uns selbst zurückbringt. Zu den Quellen.“

Und dann kommt das Aber.

„Aber wenn ich das nur mache, um im Leben besser klarzukommen und produktiver zu sein, dann ist das am Ziel vorbei. Glaube ist mehr. Glaube ist wie ein Herz, das pumpt. Es weitet sich, um Blut aufzunehmen, pumpt und gibt das Blut dann weiter. Ich schöpfe Kraft und gebe aus meiner Kraft etwas an andere weiter.“

Das Spannende: Es lässt sich oft gar nicht klar voneinander trennen, was „für mich“ oder „für andere“ ist. Schwester Lucia sagt: „Ich fahre unglaublich gern Fahrrad. Das ist erstmal was für mich. Wenn ich dann aber zurückkomme und der Mitschwester erzähle, wie schön es war, durch die Felder zu fahren, dann freut auch sie sich riesig. Auch das, was ich für mich mache, kann Frucht bringen für andere.“

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