Offen sein für Freude, Begegnung und Gott – geht das nicht auch im Alltag?!
Es waren drei legendäre Wochen. Chillen am Pazifik in Jaco, Costa Rica. Lebensfreude bei den Tagen der Begegnung in San Isidro de El General. Gottesdienste mit Hunderttausenden Jugendlichen bei den Großveranstaltungen des Weltjugendtags (WJT) in Panama City.
Es bleiben: unvergessene, intensive Momente. Und das Gefühl, mit sich selbst im Einklang gewesen zu sein. Warum ich das in diesem Artikel schreibe? Weil das nun genau zwei Jahre her ist. Daran erinnern Foto-Rückblicke auf Facebook und Instagram. Weil die Kontakte nach Mittelamerika weiterhin bestehen und tragen. Weil die Reise mehr war als eine aufregende Tour. Sie war eine Lehre fürs Leben.
Ich erwische mich bei dem Gedanken: „Wenn doch nur immer WJT wäre, dann wäre die Welt eine bessere“. Klar, das geht nicht. Deshalb neuer Versuch: „Wenn ich und andere immer so leben würden, als wäre WJT, dann wäre die Welt eine bessere“.
Was ich damit meine? Beim WJT hatte ich das Gefühl, jeden Tag etwas Neues erleben zu dürfen – und ins Ungewisse aufzubrechen. Einheimische nahmen Fremde bei sich auf – und geben ihnen das Gefühl, zuhause zu sein. Menschen, die sich auf der Straße begegnen, freuen sich darüber, dass der andere da ist. Wie weit ist der Alltag manchmal davon entfernt…
Typisch für den WJT ist, dass man mit jungen Menschen anderer Nationen Selfies schießt und kurz quatscht. Oft sind es nur kurze Begegnungen, die aber ins Herz gehen. Manchmal entwickeln sich daraus auch Freundschaften. So wie bei Erik Dünschede aus Neheim. Er hat vor kurzem im Sauerland eine bolivianische Pilgerin getroffen, mit der er sich bei den Tagen der Begegnung in Costa Rica angefreundet hat.
Erik erzählt von dem Treffen, als wir mit einer Gebetsgruppe skypen, die sich nach dem WJT in Panama gegründet hat. Wir haben sogar einen Namen: SJ7. Sonntagabends, alle zwei Wochen, lesen wir gemeinsam das Tagesevangelium und teilen unsere Gedanken darüber.
In dieser Gebetsrunde erzählte Erik, wie er mit Gabriela aus Bolivien in Kontakt geblieben ist. Nach einem üblichen Selfie bei den Tagen der Begegnung tauschten sie ihre Social-Media-Kontakte aus. Wenige Wochen nach dem WJT schrieb Gabriela, dass sie überlegt, ein Freiwilliges Soziales Jahr in Deutschland zu machen. Erik unterstütze sie dabei, die Bewerbungsunterlagen auf Spanisch und Deutsch zu schreiben. Nun arbeitet die Bolivianerin als Freiwillige in einem Kindergarten in Trier
Warum genau er den Kontakt nach dem WJT weiter hochhält, kann Erik gar nicht genau erklären. Wahrscheinlich spiegelt sich darin genau das wider, was er in Costa Rica und Panama erlebt hat. Dieses ehrliche Interesse für den anderen. Diese Selbstverständlichkeit, dem anderen etwas Gutes zu tun. Dieses Gefühl, dass ein gemeinsames Erlebnis im Glauben verbindet. Die Erfahrung, dass die Gemeinschaft der Gläubigen viel größer und stärker ist als oft gedacht.
Dann erzählt Erik, wie sich für ihn beim WJT auch seine Sicht auf die Welt verändert hat. „Es ging immer um Gemeinschaft, das Gespräch – und nicht darum, was ich besitze“, sagt er. Durch Erleben der Natur Mittelamerikas und Reinschnuppern in soziale Projekte hat sich auch seine berufliche Perspektive geändert. Erik, der damals International Business studierte, sagt heute: „Im Dschungel denkt keiner über Modelle der Wirtschaftswissenschaften nach“. Derzeit denkt er darüber nach, nach seinem Master in Richtung Entwicklungshilfe zu gehen.
Zurück zu mir. Wenn ich mich mit dem Tobias vergleiche, der in Costa Rica und Panama unterwegs war, dann spüre ich, wie mir etwas fehlt. An erster Stelle diese positive Unbeschwertheit, mit der ich durch den Tag gegangen bin.
Damals, 2019, hatte ich oft keinen genauen Plan, was den ganzen Tag über ansteht. Ich war einfach da – und offen für das, was kommt. Ich habe mich anstecken lassen von der Lebensfreude der Mittelamerikaner. Ich hatte das Gefühl, voll in diesem Moment zu leben. Um das, was gerade passiert, aufzusaugen. Um mich von Gott berühren zu lassen.
Heute, 2021, sitze ich nach Feierabend auf der Couch und denke daran, welche To-Do’s ich morgen im Homeoffice als Erstes abarbeiten muss. Der Alltag ist nun mal kein Weltjugendtag. Aber daran lässt sich ja vielleicht arbeiten.
Wenn ich zwei Jahre nach dem WJT etwas gelernt habe, dann, dass in dem, was ich damals erlebt habe, ein Schlüssel zu meinem persönlichen Glück liegt. Allen voran, dass jeder (alltägliche) Moment es wert ist, ihm meine Aufmerksamkeit zu schenken. Lebensfreude, Ruhe, Liebe, Glück und Gott treffen mich umso mehr, wenn ich im Hier und Jetzt bin. Dann ist ein Stück weit immer Weltjugendtag.