In Coronazeiten ein gewöhnliches Bild - eine Schülerin sitzt zuhause allein vor den Schulaufgaben.
In Coronazeiten ein gewöhnliches Bild - eine Schülerin sitzt zuhause allein vor den Schulaufgaben.
26.08.2020
Politik

Wie die Jugend vergessen wird

In der Coronakrise werden Kinder und Jugendliche auf ihre Rolle als Schülerinnen und Schüler reduziert - Schluss damit

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von Tobias Schulte

Es sind Sätze wie dieser, bei denen Jan Hilkenbachs Alarmglocken schrillen. „Was viele Jugendliche abfuckt ist, dass man überhaupt nicht gehört wird. Die Tagesschau spricht über Schüler, jedoch werden nur die Meinungen von Erwachsenen gezeigt, aber nicht von den¬jenigen, die es überhaupt betrifft (die Schüler).“

Es ist die Meinung eines jungen Menschen, die in der JuCo-Studie des Forschungsverbunds „Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit“ gehört wurde. Hilkenbach, Vorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Erzbistum Paderborn, zeigen diese Aussage und weitere Aussagen der Studie: junge Menschen wurden in der Corona-Krise übersehen. Und die Krise ist keineswegs ganz vorbei.

Jan HIlkenbach im Gespräch mit Tobias Schulte
Jan HIlkenbach im Gespräch mit Tobias Schulte

Nicht noch einmal

Seit zwei Wochen gehen Kinder und Jugendliche in NRW wieder zur Schule. Mit Maske, versteht sich. Denn auf Reisen, bei der Arbeit und auf privaten Feiern haben sich wieder viele Menschen mit dem Coronavirus angesteckt. Am Freitag, 21. August, meldete das Robert-Koch-Institut über 1.700 Neuinfektionen. Noch ist niemandem klar, wo das in den nächsten Wochen hinführen wird. Doch klar ist, dass Kinder und Jugendliche nicht wieder so übersehen werden dürfen wie zur Zeit der ersten Welle.

Denn die JuCo-Studie „Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen“ hat gezeigt, dass sich junge Menschen mit ihren Sorgen und Nöten nicht wahrgenommen gefühlt haben. Nicht von ihren Eltern. Nicht von der Politik. Sie sehen sich in der Coronapandemie auf ihre Rolle als Schülerinnen und Schüler reduziert, in der sie funktionieren sollen. Es wurde diskutiert, wie die Wirtschaft wieder ans Laufen kommt und wie der Ball in der Bundesliga wieder rollen kann – aber nicht, wie sich das Leben der jungen Menschen wieder normalisieren kann. So die Wahrnehmung der Befragten.

Die JuCo-Studie
In der JuCo-Studie wurden 6.431 junge Menschen in Alter von 15 bis 30 Jahren zu ihren Erfahrungen während der Coronapandemie befragt. Knapp ein Viertel (23,6 Prozent)der Befragten gab an, gar nicht den Eindruck zu haben, dass die eigenen Sorgen gehört werden. 22 Prozent stimmten „eher nicht“ zu und 30 Prozent befinden sich im Mittelfeld.“

Krise als Zeit der Regierung

Wenn man mit BDKJ-Diözesanvorsitzendem Jan Hilkenbach über dieses Thema spricht, dann kommen in ihm zwei Seiten raus. Da ist einerseits der vielleicht etwas kühle Politikwissenschaftler, der analysiert, dass Krisenzeiten immer Zeiten der Regierung, der Exekutive, sind. Dann sagt er Sätze wie: „Das macht sich bemerkbar, indem Politik durchregiert und Gruppen, die ansonsten an einem Diskurs beteiligt sind, nicht mehr mitsprechen.“

Und dann ist da noch der eingefleischte Jugendverbandler in ihm, der sich tierisch aufregen kann. Darüber, wie über junge Menschen gesprochen wird, nämlich als Gegenstand, der betreut und durch Homeschooling schlauer gemacht werden muss. Darüber, dass Kinder und Jugendliche die wirtschaftliche und finanzielle Last der Krise tragen werden – und nun viele Ausbildungsverträge gekündigt oder aufgeschoben werden.

»Mir fehlt ein Plan, wie es für mich und meine Wünsche weitergeht. Ich bin Schwimmer und möchte das wieder tun. Alle reden aber immer nur vom bezahlten Sport, nicht wie es uns geht, die wir aus Idealen das tun, aber auch von großartigen Wettkämpfen träumen. Wer schreibt darüber, dass alle Titelkämpfe im Schwimmen ausfallen oder verschoben wurden?«

Aussage eines Befragten in der JuCo-Studie

Doch wer meckert, der muss auch Antworten liefern. Zum Beispiel auf die Frage: Welche Perspektive hätte die Politik denn mit Blick auf Kinder und Jugendliche einnehmen müssen? „Eine ganzheitliche“, sagt Hilkenbach. „Die UN-Kinderrechte formulieren das ganz gut in die Breite.“ Dazu gehöre auch das Recht, spielen zu dürfen. Das möge banal klingen, sei aber wichtig. Hilkenbach: „Wenn wir hier wochenlang die Spielplätze, Jugendzentren und Sportplätze dichtmachen, dann hat das erhebliche Auswirkungen.“ Auf die Gesundheit, auf soziale Kontakte, auf häusliche Gewalt.

Der BDKJ setzt sich deswegen weiter intensiv dafür ein, dass die UN-Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden. Er sagt, dass das Bundesjustizministerium schon einen Vorschlag dafür erarbeitet habe. „Dieser Entwurf ist aber aus unserer Sicht nicht ausreichend“, sagt Hilkenbach. Es kam Corona, das Thema sei hinten runtergefallen.

Wenn man die JuCo-Studie auf weitere mögliche Schlagzeilen hin liest, dann wäre auch folgender Satz ein Aufreger: „Corona-Zeit ist für Jugendliche gleichbedeutend mit Kontaktverbot“. Und das, wo doch der Austausch mit Gleichaltrigen für die 14- bis 18-Jährigen extrem wichtig für die persönliche Entwicklung sei. Außerdem haben die Befragten gesagt, dass sie mit der verbrachten Zeit weniger zufrieden als vor Corona waren.

Mit Abgeordneten am Lagerfeuer
An diesem Mittwoch veranstaltet der BDKJ die Aktion "Miteinander am Lagerfeuer" vor dem Düsseldorfer Landtag. Dabei werden die Jugendverbandlerinnen und Jugendverbandler mit Politikern des Landtags über die Situation von jungen Menschen diskutieren. Jan Hilkenbach kündigt an, dass der BDKJ dabei seine Haltung mit einem Positionspapier starkmachen wird.

Du hast die Wahl!

Ein junger Schüler - oder ein junger Mensch?
Ein junger Schüler - oder ein junger Mensch?

Nachfrage an den BDKJ-Diözesanvorsitzenden Jan Hilkenbach: Ist die Coronapandemie also eher eine verpasste oder lehrreiche Zeit? Diplomatische Antwort: Sowohl als auch. Doch ihn trägt vor allem die Hoffnung, dass die Pandemie ein Break-Point ist, am den man ins Denken darüber kommt, wie schnell und rastlos alles geworden ist. Das eigene Leben, die Gesellschaft, die Wirtschaft. „In der Realität“, sagt der 29-Jährige, „sehen wir, dass vieles ja wieder hochgefahren ist, sodass der Punkt, an dem man innehält, sehr kurz war.“ Dazu zählt auch, wie sehr auf die Interessen von jungen Menschen geachtet wurde.

Eine Krise wirkt wie ein Brennglas und beschleunigt das, was schon vorher in der Welt los ist. Diese Weisheit habe sich auch während der Coronapandemie bewahrheitet, meint Hilkenbach. Denn junge Menschen seien im gesellschaftlichen Diskurs schon vorher häufig links liegen gelassen worden. Zeit also, selbst das Wort zu erheben. Fridays for Future zeige, wie sehr die Jugend die Meinung in allen Generationen bilden könne.

Das Augenmerk des BDKJ-Diözesanverbandes liegt auch auf den anstehenden Kommunalwahlen. Alle, die 16 Jahre oder älter sind, könnten am 13. September und darüber hinaus ihren Anteil daran leisten, dass sich etwas verändert. Das beginnt mit der Frage: Was kann sich vor meiner Haustür verbessern? Wem dazu nichts einfällt, dem empfiehlt Jan Hilkenbach, mit Freundinnen und Freunden durch das Dorf, die Nachbarschaft oder die Stadt zu gehen und zu beobachten, was einem richtig gut gefällt und was „totaler Mist“ ist. Wer etwas über die Kandidaten für den Bürgermeister, Stadt- oder Gemeinderat, Kreistag und Landrat erfahren möchte, kann die Bewerberinnen und Bewerber direkt ansprechen und auf den Social-Media-Kanälen anschreiben. „Miteinander zu sprechen und zu diskutieren ist eine wichtige Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Die meisten Kandidierenden freuen sich über Nachfragen“, so Hilkenbach.

Auch viele katholische Jugendverbände sammeln die Anliegen vor jungen Menschen, die sie mit den Kandidatinnen und Kandidaten an verschiedenen Stellen diskutieren, wie Jan Hilkenbach sagt. Er selbst hat schon eine ganze Liste an Punkten aus den Gesprächen und Versammlungen der vergangenen Jahre gesammelt. Es geht um Freiräume für die Freizeitgestaltung junger Menschen oder die Ausstattung der Schulen und Jugendzentren. Um Mobilität, einen Sportplatz oder eine Spielstraße, in der sich Kinder ungestört ausleben können. Um Chancen, weil geflüchtete Kinder oftmals während der ersten Monate in Deutschland in Aufnahmestellen keinen Zugang zu Bildung haben und immer mehr Kinder in unserem Schulsystem abgehangen werden. Und ganz oben steht das Stichwort Partizipation. „Kinder und Jugendliche sind Bürgerinnen und Bürger mit denselben Rechten wie Erwachsene“, sagt Hilkenbach. „So sollten sie auch gesehen werden.“

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