Inga Fortströer erzählt, was ihr die Kirche im Leben bringt
Wozu braucht es die Kirche? Wer diese Frage bei Google eingibt, erhält 9.450.000 Suchergebnisse. 9,45 Millionen. Hinter den Treffern verbergen sich theologische Begründungen, Kritik am hierarchischen System und Gleichgültigkeit der Kirche gegenüber. Wir nähern uns der Frage mal auf eine andere Weise. Indem wir sie einem jungen Menschen stellen: Inga Fortströer.
Die Blätter des Kirschbaums tanzen im Wind, als wir Inga Fortströer vor einiger Zeit in ihrem Garten in Paderborn zum Interview treffen. Die 17-Jährige ist die ersten Minuten damit beschäftigt, den neugierig tobenden Familienhund zurückzuhalten. Eine schmerzhafte Angelegenheit, wie sie am Anfang des Gesprächs verrät.
Inga erzählt, dass sie schon länger Rückenschmerzen quälen. Zudem sind ihre Gelenke, besonders die Knie, manchmal zu schwach, um den Körper zu tragen. Inga sagt: „Keiner sieht, dass ich Schmerzen habe.“ Eine konkrete Krankheit konnten die Ärzte noch nicht diagnostizieren. Und doch sind die Schmerzen real. Sie führen unter anderem dazu, dass die 17-Jährige ihr Jahrespraktikum als Erzieherin abbrechen muss.
Es ist ein ungewöhnlich offener, verletzlicher Start in ein Interview, in dem es um eine ganz andere Frage gehen soll – nämlich: Wozu braucht es die Kirche? Doch irgendwie passt es auch. Es ist umso eindrücklicher, wenn Inga später erzählt, dass sie im Gottesdienst und Gebet zur Ruhe kommt. Dass sie dort ihre Sorgen ruhen lässt und neue Kraft schöpft.
Wozu braucht es die Kirche? Wer Inga diese Frage stellt, bekommt zunächst ihren Werdegang präsentiert. „Seit ich denken kann, bin ich mit meiner Familie zur Kirche gegangen“, sagt sie. Seit dem zehnten Lebensjahr ist sie Ministrantin, später wurde sie Messdienerleiterin.
Messe dienen, einen Spielenachmittag leiten, einen Weihnachtskalender für die Messdienerinnen und Messdiener vorbereiten – in der Kirche hat Inga ihren Platz gefunden. Sie fühlt sich als Teil einer Gemeinschaft. Inga sagt: „Ich kann hier wirklich so sein, wie ich bin“. Und: „Wenn ich die Kirche nicht hätte, hätte ich einen wichtigen Kraftpunkt in meinem Leben nicht“.
Ein stilles Gebet in der Heimatkirche. Ein Gottesdienst, den sie als Ministrantin mitgestaltet. Ein Wochenende bei YOUNG MISSION, bei dem sie mit Hunderten jungen Menschen den Glauben feiert. Diese Momente in Gemeinschaft stärken Inga. Sie sagt: „Wenn ich mal wieder am Boden bin, dann kann ich zu Gott kommen und er gibt mir neue Kraft“. Eine Antwort auf die Ausgangsfrage wäre also: Es braucht die Kirche, weil Menschen wie Inga die Kirche brauchen.
Mit dieser Frage treffen wir Diözesanjugendpfarrer Stephan Schröder. Er sagt: „Die Kirche ist dafür da, um das fortzusetzen, was Jesus vorgelebt hat“. Er hat Kranke geheilt. Hoffnungslosen eine Perspektive gegeben. Menschen gezeigt: Gott ist für euch da.
Das sollte auch das Ideal der Kirche sein, wie Schröder erklärt. Ihm ist wichtig zu betonen, dass die Kirche nicht zufällig entstanden ist. Er ist überzeugt: „Jesus hat die Kirche gewollt. Er hat die Kirche eingesetzt. Deshalb sagte Jesus zu Petrus: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen (Mt 16,18)“.
Jesus, Kirche, Papst
Hat Jesus die Kirche, wie wir sie heute kennen, gewollt? Diese Frage stellt sich, wenn man den berühmten Satz liest: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ (Mt 16,18). Um die Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick in den griechischen Urtext des Evangeliums. Dort schreibt Matthäus „ekklesia“. Direkt übersetzt bedeutet das: „Versammlung“. Nun ist es so, dass Übersetzungen auch immer Interpretationsspielräume bieten – auch Bibelübersetzungen. So wurde aus „ekklesia“ in der Einheitsübersetzung „Kirche“. Martin Luther schreibt im Gegensatz dazu „Gemeinde“. Wahrscheinlich hatte Jesus also vor allem Menschen vor Augen, die sich versammeln, weil sie an ihn glauben und ihm nachfolgen. Wie genau diese Kirche, Gemeinde oder Versammlung aussehen soll, lässt sich daraus nur schwer erkennen.
Bis auf einen Punkt: Dass Petrus eine entscheidende Rolle spielt. Dass er der erste Leader der Kirche ist. Der Stellvertreter Christi auf Erden. Aus diesem Verständnis wurde in der römisch-katholischen Kirche das Amt des Bischofs und Papstes gegründet.
Interessant ist, dass Jesus „meine Kirche“ sagt. Das macht deutlich: Die Kirche ist die Kirche Jesu Christi. Sie verkörpert Jesus. „Und sie lebt durch die Menschen, die ihm nachfolgen“, ergänzt Jugendpfarrer Schröder.
Die Kirche verkörpert also Jesus Christus. Seine Botschaft, seine Hingabe, seine Verbindung zu Gott Vater. Soweit das Ideal. Wie kann die Kirche diesem hohen Anspruch gerecht werden? Wie kann die Kirche Jesus verkörpern?
Dafür hat sich die Kirche auf vier Grundpfeilern, den sogenannten Grundvollzügen, aufgebaut. Das sind:
Damit Menschen auch heute erleben können, wie Gott in dieser Welt handelt, gibt es zudem die Sakramente. „Die sieben Sakramente sind zeichenhaftes Handeln Gottes an den Menschen“, erklärt Schröder. „Jesus hat die Sakramente gestiftet, um Menschen von Gott berühren zu lassen“.
Taufe, Beichte, Eucharistie, Firmung, Ehe, Krankensalbung und das Weihesakrament – damit möchte Gott Menschen stärken. Wie sehr Gott Menschen stärken und ihnen nah sein kann, hat Inga Fortströer in besonderer Weise bei der Messfeier zur Beerdigung ihres Großvaters erfahren.
Inga erzählt, dass ihr Opa ein Mensch war, mit dem sie über alles reden konnte. Sein Tod schmerzte sie sehr. Als dann die Beerdigung gefeiert wurde, wollte Inga unbedingt eine der Fürbitten vorlesen. Eine ganz schöne Herausforderung.
„Als ich dann gelesen habe“, sagt sie, „habe ich eine stützende Hand in meinem Rücken gespürt. Später habe ich meine Mama und meinen Firmpaten gefragt, ob sie das waren. Doch sie haben so weit hinter mir gestanden, dass sie nicht an meinen Rücken kamen. Da habe ich realisiert: Das war Gott. Er hat mir den Rücken gestärkt. Er ist auch in schweren Momenten an meiner Seite.“
Einen ähnlich kraftvollen Moment hat Inga bei der Firmung erlebt. Sie erzählt, dass das Sakrament der Firmung für sie total wichtig war, um Ja zum Glauben zu sagen. Um ein Stück näher zu Gott zu kommen. Da die Feier der Firmung kurz nach dem Tod ihres Großvaters war, ging Inga mit ordentlicher Anspannung hinein in den Gottesdienst. Doch sie kam zur Ruhe. Sie spürte: Das war genau das, was ich gebraucht habe.
Inga kann einige Geschichten davon erzählen, wie sie in Gottesdiensten plötzlich Ruhe in stürmischen Zeiten erlebt hat. Mit ihren 17 Jahren hat sie schon einige tragische Todesfälle in der Familie erlebt. Dazu kommen ihre gesundheitlichen Sorgen.
Umso beeindruckender ist es, wie offen sie über all das spricht. Und wie viel Kraft sie ausstrahlt. Kraft, die sie aus Freundschaften, Gottesdiensten und dem persönlichen Gebet zieht. Kraft, die sie sicher nicht nur aus sich selbst heraus hat – und die sie doch weitergibt. Durch ihre Freude und Hoffnung im persönlichen Gespräch genauso wie in ihrem Engagement bei den Ministranten.
Auch das ist eine Antwort darauf, wofür die Kirche da ist: Damit Menschen empfangen und geben können.
Und was ist deine?