Wenn du erfährst, wie du zur Welt gekommen bist und es dich dein ganzes Leben lang beschäftigt.
Mona war damals 12 Jahre alt. Als sie aus der Schule nach Hause kommt, bewegen sie die Themen des Sexualunterrichts, sodass sie mit ihrer Mutter darüber sprechen möchte. Da geschieht es: ganz nebenbei offenbart ihr ihre Mutter, dass sie durch die IVF-Methode zur Welt kam.
IVF steht für In-Vitro-Fertilisation. Es handelt sich dabei um eine Methode, die zur künstlichen Befruchtung in der Reproduktionsmedizin genutzt wird. Dabei werden die männliche Samenzellen und die weiblichen Eizellen „In-vitro“, also im Glas zusammengebracht.
Heute ist Mona 26. Wir sitzen draußen bei warmem Wetter und einer Tasse Kaffee und unterhalten uns darüber, wie es ihr damit ergangen ist, als sie davon erfuhr. Sie erzählt, dass ihre Mutter das damals ziemlich spontan gesagt hatte, eher unverkrampft, als sei es das Normalste der Welt gewesen und eben nicht so, als hätte sie selbst schon lange auf diesen Moment gewartet, um sich endlich davon zu befreien. Für Mona war das damals kein Weltzusammenbruch. Sie wirkt ziemlich lässig: »Ich war überrascht und stutzig, weil ich in dem Moment nicht damit gerechnet hatte, aber nicht geschockt.«
Damals wie heute hat sie nicht viel darüber gesprochen. Weniger als eine Hand voll Leute wissen davon. In ihrem Freundeskreis gibt es noch eine weitere Person, die auf die gleiche Weise zur Welt gekommen ist. Aber im Alltag kann sie eher weniger darüber reden.
Die 26-Jährige studiert katholische Theologie. In den moraltheologischen und ethischen Fächern werden auch Themen der Reproduktionsmedizin angesprochen. Mona erzählt, dass es in Seminaren manchmal belastend sei, die Meinung Anderer zu hören, die natürlich nicht wissen, dass sie persönlich davon tangiert ist. Auch die Professoren gingen fast immer wie selbstverständlich davon aus, dass die Studierenden alle auf normalem Wege gezeugt wurden.
Für Mona ist das Phänomen der IVF in dem Sinne normal, als dass sie selbst nunmal so entstanden ist. Sie war neun Monate im Leib ihrer Mutter und ist auf natürlichem Weg zur Welt gekommen. Das genetische Erbgut ist das ihrer leiblichen Eltern.
»Ich war ein absolutes Wunschkind!«
»Meine Eltern sagen und zeigen mir das jeden Tag aufs Neue. Sie wären todunglücklich, wenn sie keine Kinder hätten.« Schließlich hatten sie es viele Jahre zuvor auf natürliche Weise versucht, jedoch ohne Erfolg. Irgendwann sei der Wunsch ein Kind zu bekommen und es zu lieben so groß gewesen, dass IVF die einzige Möglichkeit blieb. Es war einen Versuch wert, denn es nicht zu versuchen, hätte einen tiefen, vielleicht nicht zu überwindenden, Schmerz verursachen können. Aus dem Studium wisse Mona selbst, wie schwierig es ist, ein Kind zu adoptieren. Das sei ein langer, komplexer und scheinbar fast aussichtsloser Prozess. Da ist die Wahrscheinlichkeit ein Kind mittels IVF zu bekommen viel größer.
Ich staune über ihren Mut und frage sie, warum sie sich ausgerechnet das Studium der Theologie ausgesucht hat, weil doch die katholische Kirche künstliche Methoden der Reproduktion vehement ablehnt. Wie kann sie sich da wohl fühlen, möchte ich wissen. »Ich kann das für mich klar trennen«, antwortet sie. Dabei spricht sie von ihrem persönlichen Glauben einerseits und der Meinung des kirchlichen Lehramts andererseits.
Wenn sie nicht den starken Glauben an Gott hätte, dann hätte sie der Kirche vielleicht schon längst den Rücken zugekehrt, weil sie laut lehramtlichen Aussagen nicht im spezifischen, der Ehe vorbehaltenen, natürlichen Akt des Geschlechtsverkehrs entstanden ist. Wenn die Kirche den Fokus also so stark auf den innerehelichen Akt setzt – nimmt sie dann den Menschen nicht mehr als Mensch wahr? Sind dann all diejenigen, die anders entstehen, verstoßen? Natürlich möchte die Kirche das nicht. Das weiß Mona und sie fühlt sich der Kirche stets verbunden.
»Vielleicht ist es auch ein bisschen naiv«, denkt sie laut, aber sie könne das gut trennen, weil ihre Gottesbeziehung besonders intensiv sei. Als ich sie bitte, ihr Gottesbild mit drei Worten zu beschreiben, nennt sie barmherzig, mitfühlend und sanft und schiebt noch nach, dass sie sich nicht vorstellen könne, dass jemand ausgenommen sei aus der Liebe Gottes. Dabei bekräftigt sie auch, dass sie sich in der Theologie am richtigen Platz fühlt:
»Ich spüre Gottes Plan, der von klein auf in mir ist: Ich will für die Menschen da sein.«
Sie führt ihren Gedanken noch etwas weiter aus: »Für Psychologie und Medizin habe ich mich zu Beginn des Studiums zwar auch interessiert, denn das lag ja nahe, aber es war mir zu klinisch. Meine Bestimmung ist eine andere: Ich möchte den Menschen das geben, was in mir brennt. Ihnen die Liebe Gottes nahe bringen, die sich keinem verwehrt, die ich als Ja zu ausnahmslos jedem Leben verstehe.«
Ihre Lebenserfüllung sieht sie konkret darin, für andere Menschen, vor allem für Benachteiligte, da zu sein. Es sei die Liebe für die Schwachen in der Gesellschaft, die Mona antreibe, mehr noch: »Es ist die Liebe für die Schwäche insgesamt, die nicht bewertet«, formuliert sie selbst.
Die meisten Menschen, die darüber urteilen, ob solche technischen Maßnahmen wie die IVF nicht von vornherein verwerflich sind, leben selber zölibatär und haben vielleicht gar nicht den Wunsch Kinder zu zeugen - da stellt sich schnell die Frage, ob sie die richtigen Diskussionspartner sind, die über Schicksale anderer entscheiden. »Ich verstehe die Argumente rein rational«, wirft Mona ein und fügt hinzu: »Es soll auch nicht aufgehört werden darüber zu diskutieren – im Gegenteil, man muss sensibler mit Formulierungen und Argumentationen werden, weil man sonst Menschen, stark belasten kann.«
Im Vergleich zu anderen Methoden der Reproduktionsmedizin, die Mona für ethisch fragwürdig hält, sei IVF ihrer Meinung nach noch eine relativ harmlose Methode. Sie lässt zum Ende des Gespräches viele Fragen offen, über die es sich lohnt nachzudenken: Kann die Liebe der Personen und die Liebe Gottes nicht auch in dem medizinisch-technischen Moment des Schaffens eines menschlichen Wesens inhärent sein? Wer sind wir, dass wir uns anmaßen könnten, über die Liebe Gottes zu entscheiden? Woher sollen wir wissen, dass sie nicht auch in der künstlichen Befruchtung anwesend ist? Dass der Gott, an den wir glauben und der den Menschen unbedingt will, nicht auch da ist, wo IVF durchgeführt wird?
Monas Geschichte bewegt mich sehr. Um dem Ganzen theologisch auf den Grund zu gehen, habe ich das Gespräch mit Prof. Dr. Peter Schallenberg gesucht. Prof. Schallenberg kennt sich als Moraltheologe an der Theologischen Fakultät in Paderborn besonders gut mit Fragen dieser Art aus.
Es sei richtig, dass die Lehre der Kirche die Einheit von der liebenden Hingabe und dem Zeugungsakt sieht. Das bedeute aber nicht, dass andere Formen der Zeugung dem Menschen die Würde absprechen. »Der Mensch ist Mensch«, sagt er. Niemand könne sich anmaßen einen Menschen zu beurteilen. In der Moraltheologie gehe es ja auch um die Beurteilung von Handlungen und um das Abwägen von Prinzipien. Wenn ein Mensch erst einmal da ist, dann stehen ihm alle Rechte und Pflichten zu.
Dennoch: »Es gibt kein Recht auf ein Kind«, erklärt Prof. Schallenberg. Bei der Eheschließung heißt die Formulierung gegenüber dem Brautpaar: Seid ihr bereit, die Kinder anzunehmen, die Gott euch schenken wird? Das betont den Charakter des Geschenks, der Gnade Gottes, die den Eheleuten zuteil wird.
Ihm selbst begegnen ähnliche Fälle im Alltag. In seiner Beratung hilft er Menschen, besser zu verstehen, was es heißt, Gottes Allmacht und Fügung zu vertrauen, die menschlichen Grenzen anzunehmen und sich alternativen Wegen wie auch der Adoption zu öffnen. Letztlich bedarf es eines gesunden Vertrauens auf Gott und seinen Willen.
Das Thema ist hier noch lange nicht zu Ende. Die Debatte geht weiter und Vieles kann vielleicht gar nicht zu Ende gedacht werden. Die Kirche hat erst in den letzten Jahren stärker auf Fragen der Reproduktionsmedizin Bezug genommen, sodass sie sich mitten im Dialog nach außen und innen befindet, bei dem noch genügend Klärungsbedarf besteht.
Mona jedenfalls plädiert für mehr Einfühlungsvermögen in den kirchlichen Lehrpositionen: »Das Tabuisieren bringt nicht weiter.«
Gott liebt diese Welt und jeden Menschen, den er als sein Abbild geschaffen hat. Schließlich ist es ja der Auftrag der Kirche, zu allen Menschen zu gehen, um ihnen das Evangelium zu verkünden. Und diese Frohe Botschaft in Taten umzusetzen, darin sieht Mona auch ihre persönliche Berufung.
Mona gibt es wirklich, allerdings heißt sie im wahren Leben anders. Aus Rücksicht und zum Schutz ihrer Person gibt es in diesem Artikel deswegen auch keine Fotos von ihr.