„Zeugnis ablegen – und das überall!“
23.04.2012

„Zeugnis ablegen – und das überall!“

„Gottesdienste an ungewöhnlichen Orten“ zu Gast in der JVA Staumühle

Eine Kirche mit bunten Fenstern, langen Holzbänken, einem feierlich geschmückten Altar und einer imposanten Orgel – das sind Dinge, die man für gewöhnlich mit einem Gottesdienst in Verbindung bringt. Doch gewöhnlich will diese Gottesdienst-Reihe gerade nicht sein: Die Fachkonferenz Jugend des Dekanates Büren-Delbrück lädt Jugendliche und junge Erwachsene ein, „Gottesdienste an ungewöhnlichen Orten“ zu feiern. Am vergangenen Samstag führte die dritte Veranstaltung der Reihe in die Justizvollzugsanstalt Staumühle.„Viele verbinden Gottesdienste mit kirchlichen Gebäuden und festen Strukturen. Doch Gott ist nicht nur in der Kirche bei uns, sondern auch an ungewöhnlichen Orten“, erklärt Vikar Matthias Kamphans das Konzept der Reihe. Im März gab es ein Treffen auf Schloss Erpernburg sowie im Blumengroßhandel; der letzte Termin am 29. April bringt die Gottesdienstbesucher zum Flughafen Paderborn-Lippstadt. „Wir möchten diese besonderen Orte nutzen, um eine inhaltliche Botschaft zu vermitteln“, berichtet Matthias Kamphans. Die Atmosphäre sei natürlich jedes Mal eine andere, nicht vergleichbar mit der eines Kirchengebäudes. „Der Ort bringt die Botschaft mit – gerade hier in der JVA könnte man sagen, der Ort ist die Botschaft.“

Der Gottesdienst findet in der Kapelle der Justizvollzugsanstalt statt; Pastor Marian Walczak hält die Tür für die Besucher auf. Er ist Pastor in Büren und Hövelhof, vor allem aber hält er Gottesdienste in dieser kleinen Kapelle der JVA und ist Seelsorger für die Gefangenen. „Wir möchten mit diesem Gottesdienst ausdrücken, dass es möglich ist, Zeugnis abzulegen – überall, an jedem Ort“, sagt er kurz vor Beginn. Und in seiner Predigt wird deutlich, dass er diese Worte ernst meint, diese Worte lebt. Er spricht von der Barmherzigkeit Gottes, die gerade auch an diesem Ort spürbar ist. Er erzählt den Jugendlichen von den Gefangenen, die sich gegenseitig helfen, sich ermutigen, den Weg der Besserung zu gehen. Er berichtet von Menschen, die ihre inhaftierten Angehörigen besuchen, ihnen verzeihen, ihnen sagen: Lass uns versuchen, neu anzufangen. „In diesem Haus treffen sich Menschen, die viel Gewalt erfahren und anderen Gewalt angetan haben – nichtsdestotrotz sind sie auf der Suche nach sich selbst, dem Sinn des Lebens, dem Glück.“ Pastor Walczak spricht von Jesus, dem Gewaltlosen. Und von seiner persönlichen Hoffnung, dass Menschen auch in diesem Haus durch Jesus zu Gott finden und das Göttliche und Barmherzige erfahren. Darum möchte er diesen Sinn weitergeben, die Gefangenen erfahren lassen, dass Gott größer ist als „der Mist, den sie gemacht haben“. Zum Schluss seiner Predigt erklärt Pastor Marian Walczak den Gottesdienstbesuchern sein Verständnis von Barmherzigkeit: „Barmherzigkeit ist, wenn die Liebe arbeiten geht.“ Arbeiten, etwas schaffen, etwas Gutes vollbringen: den Gefangenen dieses Gefühl zu vermitteln sei das Grundkonzept der JVA Staumühle, berichtet Pastor Walczak im Anschluss an den Gottesdienst. Jeder einzelne der 230 jungen, ausschließlich männlichen Gefangenen habe eine Aufgabe. Ob das nun Schul- oder Ausbildungsmodule in den Bereichen Holz, Metall, Bau, Mal- und Lackier- oder Gartenarbeiten ist, spiele keine Rolle. Mit diesen Pflichten gingen aber auch viele Rechte einher, von verschiedenen Sportmöglichkeiten über Billard bis hin zu einer Cafeteria gebe es „unbegrenzte Beschäftigungsmöglichkeiten“. Auch religiöse Angebote können wahrgenommen werden. Außer den regelmäßigen Gottesdiensten bietet Pastor Walczak eine Selbsterfahrungsgruppe, eine Bibelgruppe sowie Einzelbetreuung an: „Glaube muss dynamisch verstanden werden. Das ist ein Lebensprozess. Wir machen hier den Versuch, Glauben zu säen, Hoffnung zu vermitteln. Einige junge Männer haben am Ende ihrer Inhaftierung den Wunsch, getauft zu werden.“

Die Botschaft Gottes, die Botschaft der Barmherzigkeit an diesem Ort zu hören, ist sicherlich etwas Besonderes. Nach einer intensiven Stunde in der Kapelle der JVA Staumühle sind sich die jungen Gottesdienstbesucher einig: Der „Flughafen-Gottesdienst“ am kommenden Sonntag ist im Kalender schon vorgemerkt.

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