Christopher vor der Skyline von Melbourne
Christopher vor der Skyline von Melbourne
15.04.2020
Faszination

Eine zweite Heimat in Australien

Wie Christopher Müller am anderen Ende der Welt lernte, was es bedeutet, Christ zu sein.

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von Till Kupitz

Nach dem Abi erstmal raus aus Deutschland: Viele junge Leute wollen reisen und unsere weite Welt entdecken, bevor sie in ihre Ausbildung oder ins Studium starten. Doch in diesem Jahr scheint nichts mehr so, wie es war. Das neuartige Coronavirus zwingt uns, Grenzen zu schließen, daheim zu bleiben, Urlaube und Auslandsjahre zu stornieren oder abzubrechen. Auch Christopher Müller aus Paderborn, der sein Auslandsjahr in Australien verbrachte, ist davon betroffen. Er ging aber nicht mit dem Ziel nach Down Under, das Land nur zum Partymachen auszunutzen, wie es einige Backpacker-Touristen tun.

„Für mich sollte der Fokus darauf liegen, viel über das Land, die Leute und die Kultur kennenzulernen“, erzählt er. Christopher wollte einen Ort finden, der seine zweite Heimat wird. Freunde finden, zu denen er den Kontakt halten und die er immer wieder besuchen könne.

Sein älterer Bruder sei über das Programm „Missionar auf Zeit“ ein Jahr lang in den Senegal gegangen. Dort habe er in einem kleinen Dorf gelebt und super Erfahrungen gemacht. „Das habe ich total bewundert. Da war für mich schon während der Schulzeit klar, dass ich auch so ein Gap Year machen möchte.“ Die Frage war nur wo. Nach einigem Überlegen fiel die Wahl auf Australien. Anderes Klima, andere Kultur und perfekt, um sein Englisch weiter zu verbessern. „Außerdem ist das ein Land, in das ich vermutlich nicht nochmal für eine so lange Zeit reisen kann.“

Nach Bendigo? Dem Goldrausch sei Dank

Christopher beim Museum zum Goldrausch
Das Grab von Heinrich "Henry" Backhaus
Das Grab von Heinrich "Henry" Backhaus

Doch als “Missionar auf Zeit” konnte er nicht nach Australien gehen, dafür gab es keine vorhandenen Kontakte dorthin. Dass er trotzdem dort gelandet ist, hat er Weihbischof Matthias König zu verdanken – und gewissermaßen auch dem Goldrausch im 19. Jahrhundert. Damals lebte der Paderborner Pastor Heinrich Backhaus in Australien und feierte täglich Messen für die Goldarbeiter. Damit war er dort der erste und einzige Pastor gewesen. Backhaus baute in Bendigo auch die erste Kirche, die heute noch steht. Dank dieser besonderen Gegebenheit hat Weihbischof König noch heute Kontakte nach Bendigo – und konnte Christopher glücklicherweise doch noch dorthin vermitteln.

»Durch die Zeit in Bendigo, lernte ich fast mehr über die Kirche von Paderborn als je zuvor.«

CHRISTOPHER MÜLLER
lebte seit September in Australien

„Von der Geschichte hatte ich vorher noch nie etwas gehört“, sagt Christopher. Die Verbindung sei super interessant und begegne ihm täglich. Sogar ein Paderborn-Gebäude oder eine Liborius-Kirche gebe es in Bendigo. Mit Hinblick auf die Geschichte erklärt der 19-Jährige: „Durch die Zeit in Bendigo, lernte ich fast mehr über die Kirche von Paderborn als je zuvor.“

Seit September war Christopher Müller an der australischen Ostküste in der Diözese Sandhurst heimisch. Montags und dienstags arbeitete er für die Father Rob Galea Ministry, die sich rund um den heimischen Priester Rob Galea dreht, der unter anderem mit christlichem Pop auf der ganzen Welt tourt. Die FRG Ministry besitzt einen Podcast, der „Catholic Influencers Podcast“. Dort kümmerte sich Christopher unter anderem um den Schnitt und Social Media. Von mittwochs bis freitags arbeitete er in der „Sandhurst Youth Ministry“, die sich um die Jugendarbeit in der großen Diözese kümmert. Hier organisierte der Paderborner Events für die katholische Jugend und war ebenfalls für Social Media zuständig.

"Das Beste, was mir passieren konnte"

Das Beste an seinem Aufenthalt in Australien sei aber seine Unterkunft gewesen. Denn die wechselte alle ein bis zwei Monate. Durch die kirchlichen Kontakte aus Paderborn zur Gemeinde St. Kilians in Bendigo wurde ein Rundruf gestartet, wer einen jungen Deutschen aufnehmen wolle. Weil sich mehrere Menschen meldeten, zog Christopher immer wieder um. „Ich lernte dadurch so viele unterschiedliche und interessante Menschen kennen. Das ist eine total spannende Erfahrung. Jede Familie und jede Unterkunft ist anders.“ Von einem älteren Ehepaar mit Heimkino und Whirlpool bis hin zur Familie mit drei Kindern, vier Hunden, und einer Hobbyfarm mit Schafen und Hühnern war fast alles dabei. „Das ist das Beste, was mir passieren konnte. Ich lernte Menschen aus allen Bevölkerungsschichten kennen. Jeder hat unterschiedliche Meinungen und sieht die Welt aus einer anderen Perspektive. Da bekommt man ein gutes Gefühl für das Land.“

Bei der Arbeit für die Father Rob Galea Ministry
Eine Szene eines Jugendevents

Auch wenn Christopher das Land, wie andere junge Leute, „nicht nur zum Partymachen ausnutzen“ wollte, war es sein Ziel, trotzdem noch mehr von Australien als „nur“ Bendigo zu sehen. Tasmanien, Perth und Adelaide hatte Christopher unter anderem schon bereist, auch Neuseeland stand noch auf seiner Liste. Doch im Verlaufe dieses Jahres wurden auch in Australien die Einschränkungen durch die Coronapandemie immer stärker. Anfangs, so Christopher, habe er sich darüber gar keine so großen Gedanken gemacht. Doch auch er, und das gilt wohl für fast alle von uns, habe die Auswirkungen im Nachhinein unterschätzt.

Am 10. März kam seine Familie ihn sogar noch besuchen, um einen dreiwöchigen Roadtrip an der Ostküste zu unternehmen. Doch die Coronapandemie nahm immer größere Züge an. „Ein Tag, nachdem meine Familie ankam, beschloss die australische Regierung, dass jeder Einreisende für zwei Wochen in Quarantäne muss. Das hätte natürlich auch für meine Familie gegolten. Da haben wir richtig Glück gehabt“, schildert Christopher. So verbrachten sie zusammen noch einige schöne Tage, schauten sich Melbourne, Sydney und andere Orte an.

Coronavirus durchkreuzt die Pläne

Christopher hält eine Fürbitte auf Deutsch am Australia Day

Bevor sie zum Roadtrip aufbrachen, feierten sie außerdem noch eine gemeinsame Messe in der von Heinrich Backhaus erbauten St. Kilians Kirche. Alle Freunde, Bekannte und Gastfamilien kamen. Eine schöne Feier, sagt Christopher. Und eine der letzten in Australien. Denn am nächsten Tag wurden, wie in Deutschland auch, alle Kirchen ebenfalls geschlossen. Christopher erzählt mit Wehmut: „Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, dass diese Feier ein Bergfest für mich ist, dass ich die Hälfte hinter mir habe. Dann hat sich herausgestellt: Es war das Ende, meine Verabschiedung.“

Denn während des Roadtrip mit der Familie schlossen auch alle australischen Schulen. Für Christopher das endgültige Zeichen: Es macht so keinen Sinn mehr. Er könne zwar in Australien bleiben – aber eventuell säße er dann mehrere Monate fest, könne im Herbst in Deutschland kein Studium beginnen.

„Wir haben mir dann noch ein Ticket für den gleichen Flug wie meine Familie gebucht und sind schnellstmöglich nach Melbourne zurückgefahren“, sagt er. Aber am Flughafen hieß es letztlich: Europäer dürfen nach Abu Dhabi, wo man hätte umsteigen müssen, nicht mehr mitfliegen. Es folgte ein langes Hin und Her – „eingeschlossen in Melbourne“ auf der Suche nach einem passenden Rückflug, ständig in Kontakt mit dem Auswärtigen Amt, wie so viele andere Deutsche, die noch festsaßen.

Die Lösung: Eine Woche später ging es über Doha nach Brüssel und von dort nach Deutschland. Noch einmal zurück nach Bendigo konnte er vorher aber nicht mehr. „Mir blieb letztlich keine Möglichkeit mehr, noch ‚tschüss‘ zu sagen. Das ist am Ende fast das Schlimmste gewesen.“ Also schickte er noch ein Abschiedsvideo nach Bendigo – und der Kontakt bleibt ohnehin bestehen, so Christopher. „Es war so schön dort und ich habe so viel gelernt. Ich werde auf jeden Fall irgendwann wieder dorthin reisen.“

Dieses Gefühl, Christ zu sein

Am Schulgebäude in Bendigo
Eine Schrifttafel an der St Kilians Kirche

Während seiner nun nur sieben Monate in Australien schrieb Christopher sogar ein Buch. Ein Kapitel: der Glaube. Und die Frage: Was habe ich Neues über den Glauben gelernt hier in Australien? „Ich habe auch am australischen Catholic Youth Festival, wo tausende Jugendliche waren, teilgenommen und dabei gelernt: Die Bedeutung, Christ zu sein, hat für mich unglaublich zugenommen.“

Dennoch: Das Gefühl, Christ zu sein, ist nachhaltig hängen geblieben. In Paderborn, so sagt er, sei das für ihn ein wenig in Vergessenheit geraten. „Hier habe ich jetzt so viele Menschen getroffen, denen Glauben so viel bedeutet. Sie sind absolute Vorbilder für mich geworden.“ Denn Christ zu sein, bedeute vor allem ein guter Mensch zu sein. Nichts fasse das für den 19-Jährigen besser zusammen. „Jetzt kann ich sagen, dass ich stolz bin Christ zu sein. Irgendwie habe ich da meinen Weg gefunden.“

Noch hat das Coronavirus die Welt fest in seinem Griff. Doch es werden auch wieder Zeiten kommen, an denen wir reisen und die Welt entdecken können. Wer dann auch vorhat, nach Australien zu reisen, dem empfiehlt der Paderborner, auch einen Kontakt zu einer Gemeinde herzustellen: „Dadurch habe ich total schnell Kontakte und Freunde gefunden. Eine Gemeinde zu haben bringt dir am Ende viel mehr, als nur Tourist zu sein. Du hast direkt ein Netzwerk – und vielleicht auch eine zweite Heimat wie ich.“

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