Auf dem Weg zur Schwarzen Madonna
02.07.2014

Auf dem Weg zur Schwarzen Madonna

„Nebenwege“ ab 3. Juli im Kino

Was passiert, wenn die Großmutter in ein Altenheim gesteckt werden soll, weil die Familie überfordert ist? Im der Tragikkomödie „Nebenwege“ ist Hilde Beller alles andere als erfreut darüber. Statt sich „abschieben zu lassen“, pilgert sie zur Schwarzen Madonna in Altötting. Doch als ihr krisengeschüttelter Sohn und ihre Enkelin ihr folgen, wendet sich das Blatt der zerstrittenen Familie.

Richard Beller (Roeland Wiesnekker) hat ein paar harte Jahre hinter sich. Die Trennung von seiner Frau und sein Architektenjob haben ihn viel Kraft und Nerven gekostet. Darunter hat auch das Verhältnis zu seiner 14-jährigen Tochter Marie (Lola Dockhorn) enorm gelitten. Sie gibt ihm die Schuld an der Trennung der Eltern. Zu allem Überfluss ist auch Richards 78-jährige Mutter Hilde (Christine Ostermayer) seit einiger Zeit ein „Problemfall“: Sie zeigt unleugbare Anzeichen von Alzheimer und soll ins Altersheim umziehen. Ausgerechnet jetzt droht der wichtigste Architekten-Auftrag von Richard durch ein technisches Problem im Büro weg zu brechen.

Er versucht sein Bestes, doch seine Mutter sträubt sich dagegen, ins Altersheim zu ziehen. Noch dazu ist Marie beleidigt, weil Richard ihren Geburtstag vergessen hat. Hilde entschließt in dieser verfahrenen Situation, zur Schwarzen Madonna nach Altötting zu pilgern; die 64 cm hohe Statue am bedeutendsten Wallfahrtsort Deutschlands hat ihr auch schon in anderen schwierigen Lebenslagen geholfen. Während Vater und Tochter noch zanken, macht Hilde sich auf den Weg – unverzüglich, ohne Gepäck und in Hausschuhen. Als Richard bemerkt, dass seine Mutter weg ist, macht er sich mit seiner Tochter auf die Suche nach Hilde. Sie erleben eine abenteuerliche Reise durchs bayerische Land mit vielen Umwegen. Jeder Schritt schweißt sie wieder ein Stückchen mehr zusammen.

Der Film „Nebenwege“ zeigt liebevoll und direkt aus dem Leben eine Familiengeschichte, wie sie sich überall ereignen kann. Die unfreiwillige Pilgerreise durch Bayern führt das familiäre Trio zurück zu Dingen im Leben, die wirklich wichtig sind: die Familie und Loyalität zueinander.

Roeland Wiesnekker, bekannt aus '3096 Tage' und aus dem Tatort, schafft es, in der Hauptrolle die Überforderung und Hilflosigkeit als Hildes Sohn darzustellen. Lola Dockhorn, die man bereits in 'Räuber Kneissl' und 'Einer wie Bruno' kennt, spielt als Marie sensibel die genervte Teenager-Tochter. Sie durfte sich bereits über eine Nominierung als beste Nachwuchsschauspielerin für den Deutschen Schauspielerpreis 2013 freuen. Besonders bezaubernd gibt sich Christine Ostermayer (Anfang 80, Seine Mutter und ich) in der Rolle der Mutter Hilde; sie verkörpert nicht nur mit Humor und Tragik die Verwirrung und Vergesslichkeit einer alten Frau, sondern auch deren sympthatische Lebensweisheit, die nach wie vor vorhanden ist.

Der Regisseur Michael Ammann weiß wovon er spricht. Er wuchs auf dem bayerischen Land auf und hatte selbst einen Krankheitsfall in der Familie. „Ich kenne die Verzweiflung, die mal den Alzheimerkranken befällt, mal seine Angehörigen. Ich weiß, wie die Krankheit auf paradoxe Weise die Originalität und den Witz des Kranken zum Vorschein bringt“, sagt Ammann. „Ich weiß aber auch, wie man durch den Starrsinn eines Kranken in weißglühende Wut getrieben wird. Und ich weiß vor allem, dass diese Erkrankung eine große und unwiederbringliche Chance birgt: dass nämlich Eltern und Kinder hier eine letzte Gelegenheit haben, nach Jahren der Entfremdung und Sprachlosigkeit zu neuer Nähe zu finden.“

Jetzt bringt Ammann das Thema in seinem Kinodebüt in die deutschen Kinos. Als Absolvent der Hochschule für Fernsehen und Film in München hat er bisher als Autor und Regisseur im Bereich der Vorabendserien und Serienentwicklung gearbeitet. Er hat die Schwarze Madonna als Pilgerstätte gewählt, weil er in seiner Zeit auf einem katholischen Internat erlebt hat, welche Bedeutung der Wallfahrtsort für viele gläubige Menschen hat.

Seit Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg“ sind Pilgerfilme voll im Trend. „An den Pilgerfilmen der letzten Jahre fällt auf, dass das Pilgern – unabhängig davon, ob der Film eher ernst ('Dein Weg', 2010) oder komödiantisch im Ton ist ('Saint Jacques...Pilgern auf Französisch', 2005) überwiegend positiv als Chance zur Ich-Findung und spirituellen Neuausrichtung gesehen wird“, sagt Peter Hasenberg vom Referat Film der Bischofskonferenz. „Der deutsche Regisseur Douglas Wolfsperger hat 1992 den Film 'Probefahrt ins Paradies' noch als bitterböse Satire auf die Situation der der Kirche angelegt und den Pfarrer mit seiner schwangeren Geliebten im Pilgerbus nach Lourdes zusammengebracht. Und der Filmklassiker 'Die Milchstraße' von Luis Bunuel aus dem Jahre 1969 nutzte das Thema des Pilgerns auf dem Jakobsweg als Plattform für einen kabarettistisch-polemischen Streifzug durch die Kirchengeschichte.“

In „Nebenwege“ dient Pilgern als Rettung der Familie. Zwar driftet der Film manchmal dramaturgisch in den Kitsch ab und in der szenischen Gestaltung lassen sich die Daily-Soap-Erfahrungen des Regisseurs erkennen; aber insgesamt ist „Nebenwege“ ein süffisantes Kinoerlebnis, das aktuelle Probleme vieler Familien in rührenden Momenten wiedergibt.

Hilde Beller mit ihrer Enkeltochter Marie.
Die Familie ist wieder vereint auf dem Weg zur Schwarzen Madonna.

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