Judith Holthaus (von rechts) nach der Ankunft auf dem Abschlussgelände des Weltjugendtages in Lissabon mit Rebecca Pohl und Caroline von der Ahe.
06.08.2023
WELTJUGENDTAG

Judith und der Papst

Bei der Vigilfeier und Aussendungsmesse des Weltjugendtages in Lissabon sind für Judith Holthaus Glaubensgemeinschaft und der Papst greifbar

von Tobias Schulte

Für Judith Holthaus ist der Papst oft fern. Sie erzählt, dass sie hauptsächlich zum Weltjugendtag gekommen ist, um die Gemeinschaft zu erleben. Und nicht den Heiligen Vater. Doch was sie bei der Vigil und Aussendungsmesse des Weltjugendtags erlebt, lässt sie sagen: „Hier war der Papst echt greifbar.“

Besonders zwei Sätze von Papst Franziskus bei der Vigilfeier, dem Nachtgebet der Kirche,bleiben der 17-Jährigen aus Bad Lippspringe in Erinnerung. Erstens: „Im Leben ist nichts umsonst. Außer die Liebe Gottes.“ Und zweitens: "Wir sollten nicht auf andere Menschen herunterschauen – es sei denn es ist, um jemanden aufzuhelfen.“ Judith sagt: „Jeder weiß ja, dass man es schon anders getan und erlebt hat. Dass man selbst Menschen nicht geholfen hat oder Menschen auf einen herabblicken.“ 

Neun Kilometer durch die Sonne pilgern

Judith Holthaus bei der Vigilfeier des Weltjugendtages 2023 in Lissabon.

Es ist kurz vor 22 Uhr abends am Samstag, 5. August. Die Dunkelheit umfasst den Park Tejo – das Abschlussgelände für die Vigil und Aussendungsmesse des Weltjugendtags in Lissabon. Judith ist eine von 250 jungen Menschen aus dem Erzbistum Paderborn beim Weltjugendtag. Eine von 8.500 Deutschen. Eine von 1,5 Millionen bei der Abschlussveranstaltung. Sie genießt den kühlen Wind, der die letzten Schweißtropfen des Tages trocknen lässt und zugleich den Staub des sandigen Bodens auf Haut, Haar und Kleidung verteilt.

Vor Judith liegt eine Nacht mit Schlafsack und Isomatte unter freiem Himmel. Hinter ihr liegt ein Fußweg von über neun Kilometern zum Park Tejo. Durch die pralle Sonne. Mit allem Gepäck auf den Schultern. Eine Facette des Weltjugendtags, die das Prädikat „Pilgern“ mit all seinen Anstrengungen verdient hat.

Elf Stunden früher. Es ist 11 Uhr morgens. Für heute Nachmittag sind 40 Grad Hitze angesagt. Judith geht mit einem kleinen Teil ihrer Gruppe aus Paderborn und Umgebung los. Viele wollen später los und so noch die Mittagshitze abwarten. Doch Judith und ihre Gruppe peilen eine U-Bahn-Station an, um möglichst nah an das Abschlussgelände zu gelangen. So zumindest der Plan.

An der Station der roten U-Bahn-Linie angekommen wird klar: Das wird nichts. Es ist zu voll. Also geht Judith den gesamten Weg zu Fuß. Der Wind weht ihr wie ein heißer Föhn ins Gesicht. Jeder Schatten durch Bäumer oder Häuser ist kostbar. Ein Rasensprenger im Kreisverkehr? Na los, kurz abkühlen.

Während die Gruppe anfangs noch unter sich ist, merkt Judith, dass die Wege der Millionen Pilgerinnen und Pilger immer mehr zusammenfließen. Dann ist sie mitten im Strom über die gesperrte Autobahn angekommen. Sie sagt: „Es ist schon ein tolles Gefühl, ein Teil dieser Menschenmenge zu sein, die gemeinsam auf dem Weg ist.“ Und: „Irgendwie kann ich mir kaum vorstellen, wie die alle auf das Feld passen sollen.“

„Das da vorne, ist das die Bühne?“

Dann ist endlich die Einlasskontrollen in Sicht. Eine halbe Stunde später ist Judith auf Feld C09. Sie baut mit Fahnenstöcken und einer Plane eine Strandmuschel auf. Hält Plätze für die anderen aus der Gruppe frei, die später losgegangen sind.

Es ist 17 Uhr. Judith setzt sich in den Schatten. Sie denkt: „Viel länger hätte der Weg nicht sein dürfen.“ Und fragt: „Das da vorne, ist das die Bühne?“
Zeit, mehr über Judith zu erfahren. Zunächst erzählt sie, dass es für sie etwas komisch ist, interviewt zu werden. Sonst ist sie diejenige, die für die Schülerzeitung die Fragen stellt. Ihr coolstes Gespräch bisher war mit dem emeritierten Erzbischof von Paderborn, Hans-Josef Becker, erzählt sie.

Daneben ist Lego-Technik ihr großes Hobby. Mit Freundinnen und Freunden ist sie bei der First Lego League am Start. Außerdem ist sie Messdienerin in Bad Lippspringe.

Als wir über ihren Glauben sprechen, antwortet Judith kurz und differenziert zugleich. Sie sagt: „Mein Glaube ist einfach da. Das kann ich gar nicht so genau benennen“. Oder: „Ich glaube, dass sobald man anfängt, Gott zu beschreiben, man ihn auch einengt. Dann verliert er seine Größe und Allmächtigkeit“.

Judith erlebt Gott in vielen Momenten, wie sie erzählt. Im Gebet, vor dem Schlafengehen, wenn sie sich daran erinnert, was am Tag so passiert ist. Im Gottesdienst als Messdienerin. Und seit dem Weltjugendtag weiß sie auch: Gott kann ganz schön laut sein. Sie erinnert sich an einen Gebetsabend mit Pilgerinnen und Pilgern aus Polen und der Dominikanischen Republik bei den Tagen der Begegnung im Bistum Porto. Als die Pilger aus der Karibik übernehmen, schaffen sie mit Gitarre, Tanzen und Klatschen einen Rhythmus, der alle mitreißt.

Drohnen schreiben "RISE UP" in die Luft.

Doch statt ganz laut wird es heute Abend bei der Vigilfeier ganz leise. Die Dunkelheit verdrängt die Sonne. Drohnen mit LED-Lichtern zaubern die Schriftzüge „Rise up“ und „Follow me“ sowie ein Feuerwerk in die Luft. Der Papst predigt. Er wirkt präsent. Er hat Power. Er spricht Sätze, die im Herzen bleiben. Eben jene zwei, die Judith besonders berühren.

Dann ziehen auf der Bühne Ministranten mit Kerzenleuchtern ein und begleiten einen Priester, der Jesus in Form des Allerheiligsten aussetzt. Judith sieht das über zwei Bildschirme. Die Bühne selbst ist so weit weg, dass sie gar keine Menschen darauf erkennen lassen.

Umso besonderer ist es, dass die 1,5 Millionen Menschen nun ruhig sind. In Feld C09 und überall. Judith sagt: „Mich bewegt diese Stille. Dass sich alle auf das gleiche konzentrieren.“ Sie fühlt sich als Teil einer riesigen Gemeinschaft. Von Menschen, die an einen guten Gott glauben. Von Menschen, die mit Jesus in Kontakt sind und ihm alles anvertrauen können. So auch Judith jetzt. Doch was ihre Gedanken genau sind, darf sie für sich behalten.

Gute Nacht. Augen zu.

Um 22:15 Uhr winkt der Papst Goodbye. Er wünscht eine gute Nacht. Eine Nacht, auf die Judith sich freut. So unter freiem Sternenhimmel hat sie bisher nur mal zuhause im Garten übernachtet. Sie putzt sich die Zähne und legt sich schon mal hin. Andere Gruppen spielen Werwolf, Uno oder Mau-Mau. Um 1 Uhr nachts hört endlich die laute Musik auf. Augen zu.

Um 6:30 Uhr ist es mit der Ruhe vorbei. Passend zum Sonnenaufgang legt auf der Bühne ein Priester als DJ auf. Durch die Techno-Musik wird auch Judith wach. Wie war die Nacht? „Angenehm“ sagt sie. Das werden sicher nicht alle Pilger unterschreiben.

Als der DJ gezeigt wird, ist schon zu sehen, wie hinter ihm Bischöfe mit Mitra und Messgewand die Bühne erkunden. Noch ein letzter Gottesdienst, dann ist der Weltjugendtag 2023 vorbei. Noch diese Aussendungsmesse, dann geht es nach Hause. „Auf der einen Seite ging die Zeit total schnell um“, sagt Judith, „auf der anderen Seite wirkt es ewig her, dass wir losgefahren sind.“

Während Papst Franziskus noch durch die Reihen fährt, packt Judith schon mal ihre Sachen zusammen. Um sie herum verlassen andere Pilger auch schon ganz das Gelände. Es ist unruhig. Doch Judith und die Pilgerinnen und Pilger aus dem Erzbistum Paderborn feiern die Messe mit. Der Gottesdienst ist für die 17-Jährige eine gute Gelegenheit, zu danken. „Für diese Reise und auch etwas Privates“, sagt sie.

Dann predigt Papst Franziskus. Diesmal kurz und knapp. Aber wieder ist zu spüren, wie sehr er es genießt, zu all den jungen Menschen zu sprechen. Und was er sagt, kann Judith wieder sehr gut mit nach Hause nehmen, wenn sie in zwei Tagen wieder in die Schule geht. Und zwar: „Das ist, was wir im Leben brauchen: nicht Ruhm, Erfolg, Geld, sondern die Gewissheit, nicht allein zu sein, immer jemanden an unserer Seite zu haben, den Tag mit der Gewissheit der Umarmung zu beginnen und zu beenden. Gott zuzuhören, um daran zu glauben, dass wir geliebt sind.“


Alle Bilder von Vigil und Aussendungsmesse

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