Schön, endlich habe ich Sachen geschafft, für die ich mir sonst nie Zeit genommen hätte. Diese Argumentation funktioniert für mich aber leider nicht. Und jetzt?
Ein halbes Jahr lang habe ich mich darauf gefreut, dass ich die Dramaturgiehospitanz am Grillo Theater in Essen anfangen darf. Ich war wundervolle anderthalb Wochen da – und schwups wurde das Theater geschlossen.
Stattdessen sitze ich jetzt also auf meinem Zimmer und tue original nichts. Es ist jetzt nicht so, dass ich nichts zu tun hätte, aber die Tatsache, dass ich mir nicht aussuchen kann, was ich tun möchte, wirkt sehr demotivierend. Und wer kann schon mit sechs Büchern eine Hausarbeit schreiben? Ich bin also den vierten Tag in Folge spät aufgestanden und habe meine Fingernägel neu lackiert. Mintgrün. Ich weiß nicht, ob ich das sehr frühlingshaft, sehr 90er oder sehr hässlich finden soll. Zwischendurch hat meine Mutter angerufen, es sei doch gar nicht so schlimm, man müsse das Beste aus der Situation machen. Mein Bruder zum Beispiel hacke Holz. Kein Kunststück diese Haltung, wenn man 1500 Quadratmeter Garten zur Verfügung hat und nicht 15 Quadratmeter Teppichboden. Und jetzt hat auch noch meine Mitbewohnerin ihre 15 Quadratmeter verlassen – und mit ihr ihr Netflix-Account.
Mein Leben fühlt sich an wie auf Eis gelegt. Alle Theaterbesuche und Pfadfinderaktionen sind abgesagt. Die Leiterrunde haben wir digital gehalten - ich hasse Telefonkonferenzen.
Wenn Corona nicht wäre, dann hätte ich nicht permanent ein schlechtes Gewissen, weil ich mich ständig beschwere, obwohl es mir doch gut geht.
Erstaunlicherweise fühle ich mich weniger unproduktiv und nutzlos als sonst schon mal, wenn ich nichts auf die Kette kriege. Tatsächlich tue ich ja auch Sachen: Heute Morgen zum Beispiel habe ich Freunden beim Möbelschleppen geholfen, weil sie morgen nach Köln ziehen. Und gestern habe ich die Vorratsschränke in der Küche und die Putzmittelsammlung im Bad aufgeräumt.
Schön, könnte man sagen, endlich habe ich Sachen geschafft, für die du dir sonst nie Zeit genommen hättest. Diese Argumentation funktioniert für mich nur leider genauso wenig wie das „ach, ist doch alles nicht so schlimm“ meiner Mutter. Vielleicht ist mir die Ordnung meiner Putzmittel auch einfach viel zu egal. Ich glaube mein Problem liegt nicht darin, dass ich mich unproduktiv fühle oder meines Selbstwertes beraubt.
Aber „beraubt" ist das richtige Stichwort: Ich fühle mich meiner Zeit beraubt. Das fängt mit der Hospitanz am Theater an, die ich nutzen wollte um meine Berufsfindunsfrage beantworten zu können. Das hat mit all den Roverrunden zu tun, die jetzt ausfallen, die ersten Gruppenstunden, die mir richtig Spaß machen. Und das hat zu tun mit dem verschobenen Semester, meiner abgesagten mündlichen Abschlussprüfung (gut, dass ich noch nicht gelernt habe) und den abgesagten Pfingstferien.
Ich habe gerne die Kontrolle über mein Leben, plane gerne meine Tage und Wochen und bin wahnsinnig gerne unabhängig von allem und allen. Und jetzt bin ich, sind wir in allem, was wir tun wollen, abhängig von einem Virus und das für unbestimmte Zeit. Das nervt.
Ich weiß, dass es keine Lösung ist, sich mit einer Situation abzufinden, aber besondere Situationen erfordern besondere Lösungen. Aber im Moment funktioniert dieses Abfinden für mich am besten, das Kontrolle abgeben, die Situation im wahrsten Sinne des Wortes auszusitzen. Wenn wir das nur geduldig genug tun, sind wir vielleicht auch schneller damit fertig.