Der Jakobsweg führt von Höxter bis Dortmund quer durchs Erzbistum.
27.04.2021
Faszination

Auf Spurensuche

Zwischen Salzfelsen und Schusslöchern – auf dem Jakobsweg von Paderborn nach Geseke

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von Lioba Vienenkötter

Meine beste Freundin und ich waren wandern. Das haben wir schon oft gemacht – egal ob in Spanien oder im Sauerland, manchmal mit Hängematte und immer mit Doppelkeksen. Dieses Mal waren wir auf dem Jakobsweg zwischen Paderborn und Geseke unterwegs. Ich sollte also besser „pilgern“ statt „wandern“ schreiben.

Wir kommen mit dem Zug am Paderborner Hauptbahnhof an. Es ist ein zugegebenermaßen eher trübsinniger Ort. Das Wetter passt zu diesem Eindruck: es ist sehr grau und sehr kalt. Wir schlängeln uns durch die für Corona-Zeiten großen Menschenmengen der samstäglich belebten historischen Innenstadt vorbei am Franziskanerkloster und dem alten Rathaus und erreichen nach einigen Minuten den Domplatz. Dort ist gerade der Wochenmarkt aufgebaut, ein lustiges, buntes Treiben. Vor allem junge Familien haben sich zum Bummeln auf den Markt begeben. Und mitten drin steht der Paderborner Dom.

Der Turm des Paderborner Doms ragt in den Himmel.

In erhabener Schönheit ragt er hinter dem Diözesanmuseum hervor. Wir steigen die Stufen zum Dom hinab und treten ein. Nach dem Geplapper auf dem Markt empfängt uns eine wohlbekannte Stille. Nur wenige Menschen sind in der Kirche, zünden Kerzen an, verweilen im Gebet. Wir gehen staunend durch das Kirchenschiff. Besonders gut gefallen uns die großen Fenster, sie sind schlicht und modern.

Fenster ist das richtige Stichwort, denn der Paderborner Dom ist für ein ganz bestimmtes Fenster über das Erzbistum hinaus bekannt: das Drei-Hasen-Fenster. Das wollen wir natürlich sehen! Zum Glück gibt es Wegweiser, die aus dem Dom hinaus, durch den Kreuzgang in den Innenhof des selbigen führen. Und da ist es. Unscheinbarer, aber nicht weniger schön als gedacht. Schon im 16. Jahrhundert erstellt, zeigt das Fenster drei Hasen, die einander im Kreis jagen. Das Besondere an der Darstellung ist die Anzahl der Hasenohren, wie auch folgender Reim nahelegt:

»Der Hasen und der Löffel drei, und doch hat jeder Hase zwei.«

Das Drei-Hasen-Fenster

In der christlichen Symbolik steht der Hase übrigens unter anderem für Fröhlichkeit – welch schönes Zeichen zu Beginn des Tages!

Bevor wir uns auf den Jakobsweg begeben, wollen wir noch einen Blick auf ein Bauwerk werfen, dessen Geschichte eng mit der des Paderborner Doms ist: Die Kaiserpfalz, die im 8. Jahrhundert als Stützpunkt des ersten deutschen Kaisers, Karl dem Großen, gebaut wurde. 

Aber wir sind ja nicht zum Sightseeing aufgebrochen, sondern zum Pilgern. Also begeben wir uns auf Muschelsuche. Denn der Jakobsweg wird weltweit von gelben Muscheln auf blauem Grund markiert – eine Farbkombination, die sich auch im modernen Verkehrschaos gut erkennen lässt. Langsam bewegen wir uns aus Paderborn raus. Wir laufen durch Schrebergartensiedlungen, Vorstadtviertel und ein großes Industriegebiet. Und schwups stehen wir vor dem Ortsausgangsschild.

Die Kaiserpfalz steht seit 1200 Jahren in Paderborn.
Eine Schafherde grast am Wegesrand.

Der Weg schlängelt sich durch die Felder nach Wewer, wo wir einer lustigen Schafherde mit vielen Lämmern begegnen, die sehr interessiert zum Zaun kommen. Ein friedliches Bild. Weiter geht es entlang dem Hellweg, der alten Römerstraße, die quer durch Westfalen führt. Vorbei an Feldern, Treckern und der Dreckburg, einer Burg aus dem 14. Jahrhundert, kommen wir nach Salzkotten, der zweiten Station unseres Weges.

Am Ortseingang liegt der Konvent der Franziskanerinnen, der sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts von Salzkotten aus um Bedürftige in der ganzen Welt kümmert und Freiwillige zum Beispiel nach Malawi, Indonesien oder Rumänien schickt. Aber auch vor Ort sind die Schwestern präsent, das zeigt schon die schöne Kirche, deren helles Kirchenschiff von innen zu leuchten scheint. Wir verweilen in der Kirche und beruhigen uns im bunten Licht der Fenster.

Bekannt ist Salzkotten für seine Vergangenheit als Sälzerstadt. Grundlage dafür ist die Unitasquelle, eine Salzquelle, aus der der Kütfelsen entstand, der sich mittlerweile über einen Durchmesser von 100m erstreckt und auf dem verschiedenste Salzpflanzen wachsen. Wie eine seltsame Kraterlandschaft liegt der Felsen mitten in der Stadt.

Für die Salzgewinnung spielte auch die Heder eine wichtige Rolle, an der zum Beispiel das Gradierwerk liegt. Der Fluss schlängelt sich verträumt durch den Stadtpark. Gesäumt wird er von Sport- und Spielgeräten, hier treffen Menschen verschiedensten Alters aufeinander. Wir folgen dem Fluss und wandern durch den malerischen Stadtteil Upsprunge hinaus in ein Naturschutzgebiet. Hier ist es ganz ruhig. Sogar die Sonne ist herausgekommen und lacht aus blaustem Himmel auf uns herunter. Auf einer Parkbank machen wir Mittagspause und strecken unsere Beine aus.

Gelobt seist Du, Herr,
samt allen Deinen Werken,
doch in besonderem Maß durch Schwester Sonne. 
Auf uns herab lässt Du sie täglich scheinen. 
Wie schön ist sie; sie strahlt mit großem Glanze. 
Vor Dir, o Höchster, hat sie ihren Sinn. 

Auszug aus Franz von Assisis „Der Sonnengesang“

In der Wiese steht ein Storch, ein paar Meter davon entfernt grasen einige Kanadagänse. Es ist schon spannend, wie viele verschiedene Landschaften wir heute schon gesehen haben – Industriegebiete, Salzfelsen, Sumpfwiesen und Bundesstraßen. Die Landschaft, in der wir uns nun niedergelassen haben, lädt jedenfalls zum Innehalten ein.

Die Dreckburg steht vor dem Ortseingang Salzkottens.
Das Kirchenschiff der Franziskanerinnenkirche ist lichtdurchflutet.
Das Salzmuseum in Salzkotten zeugt von der salzigen Vergangenheit der Stadt.

Grün geht es weiter. Ein paar Kilometer liegen noch vor uns, bevor wir Geseke erreichen. Mittlerweile laufen wir auf Feldwegen durch gelbe Rapsfelder – ein schöner Kontrast zum leider wieder ergrauten Himmel. Diese Pilgertouren sind eine gute Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch, wir sprechen beinahe den ganzen Tag miteinander, lachen oft, schweigen ab und zu. All das tut gut, gerade jetzt heilt der persönliche Kontakt.

Am Wegesrand steht ein Schild, darauf eine Jakobsmuschel und der Spruch „Der Weg ist das Ziel“. Nach den bisherigen 20km und angesichts unserer recht müden Füßen wirkt das wie ein schlechter Witz. Doch plötzlich tauchen am Horizont die Dächer Gesekes auf – das Ziel ist in Sicht!

Unser Weg führt uns durch die Felder.
Vom Stadtrand aus sieht man die Kirchturmspitze schon.

Wir erreichen Geseke am späten Nachmittag, nachdem wir viele Stunden auf dem Weg waren. Die Ankunft in der St. Cyriakus Kirche ist eine Wohltat. Kühl und still empfängt sie uns, wir kommen zur Ruhe. Auf uns herab blickt die Pieta „Maria Schuss“, die seit über 500 Jahren die Gebete tausender Pilgernder entgegennimmt. Maria hält den Leichnam Jesu im Arm, beide Gesichter sind schmerzverzerrt. Wir sitzen hier mit schmerzenden Füßen, Knien, Hüften. Mitten in der Corona-Pandemie, in der eh nichts einfach ist.

Es tut gut, mit Menschen zusammen zu sein, mit denen man sich versteht, auf die man sich verlassen kann, die bei einem bleiben, auch wenn es schwierig wird. 
Es tut gut, zu wissen, dass da jemand ist, der mich braucht oder die ich brauche, geliebt zu werden und zu lieben. 
Es tut gut, zu wissen, dass Du Gott, so für uns da bist. Danke!

Guido Hügen OSB

Die Pieta wird Maria Schuss genannt, da die Marienfigur in der rechten Schulter ein Schussloch hat. In den Wirrungen des Dreißigjährigen Krieges wurde die Statur von einem hessischen Söldner angeschossen. Dieses Vorfalls wird jedes Jahr in Geseke gedacht.

Wir beide sind in einer Phase unseres Lebens, in der wichtige Entscheidungen für unsere Zukunft getroffen werden müssen: Meine beste Freundin hat vor kurzem ihre erste feste Stelle angetreten, mein Studium neigt sich auch langsam dem Ende zu. In Zeiten solcher Umbrüche hilft es, mit Menschen zu sprechen, denen man vertraut und denen man alles erzählen kann. Genauso hilft es, den Kopf auszuschalten, sodass man am Abend müde vom Laufen und nicht vom Nachdenken ist. Beides war heute möglich und dafür können wir dankbar sein. Jetzt und hier mit Blick auf Maria wird alles still.

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