Johannes Huckschlag mit seinem Boot "Furie".
Johannes Huckschlag mit seinem Boot "Furie".
10.06.2021
Faszination

Der Luxus, das zu machen, was einen erfüllt

Johannes Huckschlag hat den Traum vom eigenen Boot realisiert
test
von Tobias Schulte

Einen Satz seiner Zwillingsschwester hat Johannes Huckschlag bis heute nicht vergessen: „Was du da bastelst, ist zwar ganz hübsch, aber es hält nicht“. Seine Schwester habe ihm das immer wieder vorgehalten, als Johannes in der Kindheit im Kreis Soest Modellbötchen aus Holz bastelte, um sie auf dem Goldfischteich schwimmen zu lassen. Heute restauriert der 25-Jährige als Bootsbauer-Geselle Holzboote am Bodensee – und baute nach Feierabend sein eigenes Holzboot

Damals, gibt Johannes zu, seien seine Holzbötchen tatsächlich oft auseinandergefallen oder umgekippt. Zu zierlich habe er sie gebaut. Heute kann ankündigen: „Jungfernfahrt ist Mitte Juni“. Dann wird er mit seinem eigenen Boot die erste Runde über den Bodensee segeln. Sein Boot, das ist die Rennjolle „Furie“. Ein stattliches Boot, ästhetisch, einzigartig. Ein Boot, das ihn aber auch Unerwartetes lehrte.

Krass verschätzt

Herbst 2017. Johannes Huckschlag beginnt Ausbildung zum Bootsbauer in einer Werft in Friedrichshafen am Bodensee. Er hat richtig Feuer für die Bootswelt gefangen, will immer mehr aufsagen und immer schneller sein Handwerk lernen. Also trifft er die Entscheidung, sein eigenes Boot zu bauen.

So richtig Fahrt nimmt das Projekt dann im Frühjahr 2018 auf. Johannes entwirft die „Furie“, eine Rennjolle aus Holz, 6,10 Meter lang, 1,60 Meter breit. Als Johannes im Juni 2018 anfängt, sein Boot zu zeichnen, denkt er, dass er schon wenige Monate später damit auf dem Bodensee segeln wird. Damit der Termin klappt, opfert Johannes seine gesamte Freizeit.

Johannes Huckschlag im Inneren des Boots.

Alles soll besonders sein

Nach Feierabend in der Werft in Ludwigshafen setzt er sich aufs Moped, fährt nach Lindau, wo eine Garage als Privatwerft dient. Gemeinsam mit einem Kollegen plant, baut, tüftelt er – bis der Lärm die Nachtruhe der Nachbar stört. Dann übernachten er und sein Kollege in einem Wohnwagen neben der Garage und brechen am nächsten Morgen zur Arbeit auf. Das Spiel geht von vorn los.

Doch derselbe Idealismus, der ihn dazu anspornte, all seine Freizeit für sein Herzensprojekt zu opfern, stand ihm dabei auch im Weg. „Wenn das Boot schon meine gesamte Zeit auffrisst, dann darf es ruhig cool werden“, sagt Johannes. Also nahm er beim Bau seiner Jolle das Tempo heraus.

Johannes konstruierte und zeichnete das Boot nach eigenen Plänen. Es sollte besonders ästhetisch werden, besonders schnell, besonders leicht, besonders besonders. Fast so, wie seine Modellbötchen in der Jugend. „Wenn alles besonders ist, dann macht es Spaß – aber es dauert auch drei Mal so lang, als wenn ich das Boot nach einer bekannten Zeichnung gebaut hätte“, sagt der 25-Jährige.

Das Boot habe ihn gelehrt, den Spaß an der Arbeit nicht zu verlieren. „Egal, mit wie viel Elan man arbeitet, man muss auch einen Fortschritt sehen“, sagt Johannes. Und noch etwas hat ihm das Projekt gezeigt: Dass es sich lohnt, mutig zu sein und sich Herausforderungen zu stellen. „Sich aufraffen, einfach mal was anfangen und keine Angst davor haben, zu scheitern“, sagt er.

Die "Furie" in der Privat-Werft in Schräglage.
Die erste Schwimmprobe im Sommer 2020.
Die erste Schwimmprobe im Sommer 2020.

Die Bauschritte könnt ihr verfolgen auf johanneshuckschlag.de oder auf Instagram: @projektfurie

Raus aus der Komfortzone

Sich aufraffen, etwas Neues anfangen. Das wäre auch eine treffende Überschrift für den Weg, den Johannes bis zur Ausbildung zum Bootsbauer gegangen ist. 2014. Johannes hat sein Abi in der Tasche, doch er weiß nicht, wohin ihn der Weg führen soll.

Er beginnt ein Freiwilliges Soziales Jahr als Rettungssanitäter im Lippetal, findet Gefallen daran und arbeitet nach dem Jahr noch als Rettungssanitäter weiter. Er arbeitet in 24-Stunden-Schichten – hat abwechselnd viel Arbeit und viel Freizeit. Doch irgendwie weiß er nichts mit der ganzen Zeit anzufangen. Er wohnt zuhause bei seiner Mutter und musste dort „keinen Finger krummachen“. Irgendwann hört er auf, sich beruflich weiterbilden zu wollen und verliert langsam aber sicher das Feuer für die Sache.

Dafür staut sich eine Unzufriedenheit in ihm auf. Johannes sagt selbst über diese Zeit: „Ich habe mich richtig gehen lassen“. Er brauchte etwas, das ihn herausfordert, reizt, erfüllt. Ein Talent für das Handwerkliche steckte immer schon in ihm, genauso die Liebe zum Holz. Praktikum da, Praktikum hier. Dann stand die Entscheidung: Er beginnt die Ausbildung zum Bootsbauer in einer Werft am Bodensee. 650 Kilometer von Zuhause entfernt.

„Das hat mir so viel Schub gegeben“

Im Bootsbau hat Johannes ein eigenes kleines Universum für sich entdeckt. Er erzählt, wie er zur Inspiration nach Feierabend Bücher von Erfindern und Konstrukteuren gelesen hat. Er sagt: „Ich habe alte Schinken gewälzt und war total begeistert. Das hat mir so viel Schub gegeben“.

Wie sehr er für den Bootsbau brennt, wird zum Beispiel deutlich, wenn er von einer Schnur schwärmt, die nur drei Millimeter dick ist und 950 Kilogramm Zuglast standhält. „Raketenmäßiges Material“, sagt er. Oder wenn er erzählt, dass es beim Restaurieren eines Holzboots „Tausend Möglichkeiten gibt, die Problemstellung zu lösen“ – und er seinen Weg finden muss.

Auf der Arbeit baut Johannes gerade das Cockpit eines Segelboots neu. „Das ist total spannend, weil alles rausfliegt und neu und besser werden soll. Das ist halt geil, weil ich total gefordert bin und mir viel Freiraum gelassen wird.“

Blick in das innere der "Furie".

Der Luxus, das zu machen, was einen erfüllt

Obwohl Johannes Huckschlag sagt, dass Gott in seinem Leben keine Rolle spielt – wenn er so von seinem Beruf schwärmt, lässt sich das schon als Zeichen der Berufung deuten. Und dann sagt er einen Satz, der noch länger im Gedächtnis bleibt: „Das ist echt purer Luxus, dass wir die Möglichkeit haben, das zu machen, was uns erfüllt.“

Der Bodensee ist eine der schönsten und abwechslungsreichsten Regionen Deutschlands. Hier fühlt sich Huckschlag wohl, hier wohnt er auch mit seiner Freundin zusammen. Hier kann er nun endlich mit seinem eigenen Boot segeln und die Landschaft genießen. Klingt so, als könnte für ihn das Leben am Bodensee so weiterlaufen. Könnte, ja. Aber das wird es nicht.

Weiter auf der Suche

Nach über vier Jahren im Süden Deutschlands sagt Johannes: „Jetzt zieht es mich zurück in die Heimat.“ Er hat sich schon zur Meisterschule im Bootsbau angemeldet, aber die startet erst 2024. Statt bis dahin Vollzeit zu arbeiten, wird er seine Zeit dafür investieren, einen Anbau seines Elternhauses in Berksen im Kreis Soest zu renovieren. Dort könnte er später einziehen. Sein Boot wird er mit in die Heimat nehmen, um damit auf dem Möhnesee segeln zu können.

Wenn der Anbau fertig ist, kann Johannes sich vorstellen, in Handwerksbetrieben im Kreis Soest zu arbeiten. Ganz sicher ist das noch nicht. Vor allem nicht, wie lange es dauert, den Anbau zu renovieren. Doch sicher ist: Johannes wird weiter auf der Suche bleiben. Nach dem, was ihn antreibt. Nach dem Ort, an dem er sich verwirklichen kann. Nach Menschen und Plänen, die ihm und seinem Leben Stabilität geben.

Mix