Theologe Jan Kuhn fordert bei Hardehausener Medientage Influencer für die Kirche
Für junge Menschen sind sie Stars, Vorbilder und Begleiter durch den Alltag – Influencer. Braucht deshalb auch die Kirche ihre eigenen Influencer auf YouTube und Instagram, sogenannte „Christfluencer“? Ja, meint Jan Kuhn, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für angewandte Pastoralforschung (ZAP) in Bochum. Wir haben bei den Hardehausener Medientagen mit ihm gesprochen.
»Die Frage ist, wie man einen Raum schaffen kann, in dem junge Menschen ihr Leben und gesellschaftliche relevante Fragen im Rahmen von Christsein und Glauben deuten können.«
Jan Kuhn
Digitaler Brückenbauer für das ZAP in Bochum
Herr Kuhn, warum braucht es kirchliche Influencer?
Ich sehe durch sie große Möglichkeiten, um den Glauben in der Gesellschaft überhaupt wieder plausibel zu machen. Junge Menschen informieren sich heutzutage hauptsächlich über die Social Media. Was dort nicht stattfindet, wird nicht wahrgenommen.
Deswegen brauchen wir Möglichkeiten, wie man Jugendlichen im digitalen Raum den Glauben näherbringen könnte. Dabei geht es nicht um eine digitale Katechese oder Verkündigung, das würde YouTube und Co. nicht ernstnehmen. Die Frage ist stattdessen, wie man einen Raum schaffen kann, in dem junge Menschen ihr Leben und gesellschaftliche relevante Fragen im Rahmen von Christsein und Glauben deuten können.
Bei den Medientagen vor zwei Jahren sagte Missionar Martin Iten, dass im Netz alle missionarisch auftreten – nur die Kirche nicht. Stimmen Sie zu?
Es gibt ja schon einzelne Initiativen, zum Beispiel Lingualpfeife im katholischen Bereich, von der Evangelischen Landeskirche Jana Highholder mit „Jana glaubt“ oder Li Marie von der Global Video Church. Aber im Bereich des institutionell organisierten Auftritts von Influencern ist die katholische Kirche verhalten unterwegs.
Wenn man sich Li Marie anguckt, dann sind ihre Meinungen schon sehr konservativ. Wie blicken Sie darauf?
Li Marie ist bekanntgeworden mit populistischen Videotiteln wie "Kein Sex vor der Ehe". Das hat auf YouTube megamäßig gezogen, weil Sex ein Thema ist, das für Jugendliche eine hohe Bedeutung hat. Es ist gut, dass sie das Thema anhand ihrer eigenen Biographie kommunizieren kann – aber es wäre wünschenswert, wenn es theologisch fundierter wäre. So eine Meinung könnte ich mir für den katholischen Bereich nur in einem dialogischen Format vorstellen, bei dem es auch eine Gegenposition gibt. Ansonsten werden die Möglichkeiten der Dialogplattformen verschwendet.
Wird das Netz momentan den kirchenfernen und eher radikalen Christen überlassen?
Auf YouTube funktioniert generell das, was eine radikale Meinung hat. Das Radikale erzeugt die krassesten Interaktionen und wird daher vom Algorithmus bevorzugt. Das schlägt sich nieder in den Formulierungen der Videotitel, die an Schlagzeigen der Bild-Zeitung erinnern.
Aktuell sind die Freikirchen viel besser darin, biografisch zu erzählen.
Zudem haben sie nicht diese regulierende Organisation im Hintergrund, wie es bei der katholischen Kirche der Fall ist. Bei geförderten katholischen Influencern würde ein riesiger Verwaltungsapparat dahinterstehen und es könnte der Anspruch bestehen, dass die Organisation repräsentiert werden muss. Um der Gefahr aus dem Weg zu gehen, brauchen wir viele Jana Highholders, um einen Diskurs anlaufen zu lassen.
Die Bandbreite von liberal bis konservativ innerhalb der Kirche ist ja groß. Da müssen wir nicht „den einen“ Christfluencer aufbauen, sondern wir brauchen eigentlich eine Kultur, in der so etwas ausprobiert wird.
»Bei Influencern kommt es darauf an, dass die Videos stark auf die biografischen Erfahrungen ausgerichtet sind.«
Jan Kuhn
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZAP in Bochum
Welchen Unterschied macht es, ob ein Bistum oder ein christlicher Influencer auf Instagram etwas veröffentlicht?
Die Kommunikation der Bistümer orientiert sich meistens an journalistischen Standards wie Objektivität und Korrektheit von Fakten. Bei Influencern kommt es darauf an, dass die Videos stark auf die biografischen Erfahrungen ausgerichtet sind. Kirche muss sich fragen, wie sie neben der Pressearbeit genau diese individualperspektivische Form der Glaubenskommunikation organisieren könnte.
Ginge das denn mit Influencern?
Wenn man sich den Account „Mädelsabende“ von funk anschaut, dann geht es dort um Themen wie Zufriedenheit mit dem eigenen Körper, Behinderung, Schwangerschaftsabbruch, Liebe oder Hoffnung. Da würde ich sagen: Da haben wir als Christen auch eine Position zu, die wir thematisieren können.
Der Erfolg von solchen Kanälen gibt mir durchaus die Hoffnung, dass die Themen, die wir haben, relevant sind. Die müsste man nur dialogischer kommunizieren, mit einer Bandbreite an christlichen Influencern. Da wäre für mich die Hoffnung, dass das in den nächsten zehn Jahren noch institutionell angegangen wird. Praktisch „Mädelsabende“ in katholisch.
Wie wäre das aufgebaut?
Einerseits bräuchte es die Meinung einer persönlich identifizierbaren Einzelperson, das ist in den Social Media immer wichtig. Dazu würde innerhalb der Story Raum gelassen für ein Gegenüber, das thematisiert wird. Das fehlt mir aktuell bei den christlichen Influencern wie Li Marie oder Lingualpfeife.
Haben wir nicht auch außerhalb der Social Media schon ein Problem damit, darüber zu reden, wie der Glauben das Leben verändert?
Man muss ja auch nicht mit der perfekten Antwort daherkommen. Es könnte ja schon ein Mittel sein, mit einer Frage in die Social Media reinzugehen und sie zusammen mit anderen zu eruieren. Wir haben in der deutschen Kultur einen unglaublichen Wunsch nach Perfektion im ersten Wurf. Dann zu meinen, man könnte nur in Social Media reingehen, wenn man die Deutungsstraße für alles hat, ist schwierig. Da spüren wir ja auch die Sprachlosigkeit in den bisherigen Formaten.
Andererseits können Glaubenszeugen einen schon mitreißen und neue Perspektiven eröffnen.
Eine Möglichkeit wäre, mit Glaubenszeugen ins Gespräch zu kommen – und nicht zu meinen, dass sie die neuen Christfluencer werden sollen. Es wäre gut, wenn jemand, der zweifelt und seine Probleme seines Alltags nicht mit dem Evangelium verknüpfen kann, mit einem Glaubenszeugen ins Gespräch kommt. Wenn ich Liebeskummer habe, könnte es spannend sein, mit einem Glaubenszeugen gemeinsam nach einer Antwort zu suchen.
Könnte das denn funktionieren, wenn die Zuschauer wissen, dass die Kirche hinter jemandem steht?
Es darf kein Geheimnis sein, dass jemand von der Kirche unterstützt wird. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland hat ein Projekt gestartet, bei dem sie in Diskussionsforen verdeckt christliche Influencer eingesetzt haben. Als das rauskam, war der Shitstorm groß. Was authentisch wirkte, stellte sich als Auftrag heraus. Zusätzlich müsste noch eintrainiert werden, dass sich kirchliche Influencer auch kritisch zu Dingen verhalten und äußern dürfen. Ansonsten wird man nicht als glaubwürdig wahrgenommen.
Was, wenn YouTube und Instagram künftig an Bedeutung verlieren würden?
Einzelne Plattformen können relativ schnell verschwinden – und dann kommen andere Plattformen. Sie sind nur eine Ausdruckweise der Mega-Trends Individualisierung, Pluralisierung und De-Institutionalisierung. Junge Menschen haben ein hohes Grundbedürfnis, sich stärker als früher an ihrer Identitätsarbeit zu beteiligen.
Die einzelne Plattform ist nicht entscheidend. Wichtig ist, dass ich das Evangelium an meiner eigenen Person kontextualisieren kann. Das ist eine Kompetenz, in der wir nicht mehr besonders trainiert sind und die wir generell lernen sollten. Es geht darum, eine neue Art von Glaubenskommunikation zu lernen.
Herr Kuhn, vielen Dank für das Gespräch.