„Hörst du das?“, fragt Luiza. Sie meint das Artillerie-Geschütz der israelischen Armee im Norden Israels. Nein, zu hören ist nichts. Zumindest nicht per Zoom. Als sie weiterredet und sagt, dass die Israelis den Süden des Libanon beschießen, ist es dann plötzlich nicht zu überhören. Die israelische Armee hat eine Rakete abgefeuert. Ein Geräusch, so kurz und gewaltig.
Luiza ist 21 Jahre alt. Sie glaubt an Jesus Christus und gehört zur Gruppe arabischer Israelis. Sie lebt in Jish, im Norden Israels. Die Kämpfe im Gazastreifen sind hier weit weg. Dafür der Süden des Libanon, wo die islamistische Hisbollah das Sagen hat, nah dran. Wir sprechen mit Luzia darüber, woher sie die Kraft nimmt, in so einer spannungsgeladenen Region zu leben. Und, was es für sie bedeutet, als Christin im Heiligen Land zu leben.
Das Gespräch begleitet Schwester Monika. Sie kommt gebürtig aus Siegen und lebt als Missionarin der Ordensgemeinschaft „Dienerinnen und Diener des Evangeliums“ im Heiligen Land. Die beiden kennen sich gut, da der Orden von Schwester Monika die Christen in Jish begleitet. Eigentlich wollten sie für das Interview nebeneinandersitzen, doch Luiza ist die Situation heute zu unsicher, um nochmal vor die Tür zu gehen. Deshalb sitzen sie jetzt in unterschiedlichen Gebäuden vor dem Bildschirm.
Luiza, du wolltest für das Interview zuhause bleiben. Woher weißt du, ob es in eurer Region sicher ist oder nicht?
Wir können die Stimmen der Bomben ja immer wieder hören. Außerdem werden wir mit einem Alarm und einer App gewarnt, wenn es Gefahr für einen bestimmten Ort gibt. Aber es geht da bei mir mehr um ein Gefühl.
Wie fühlst du dich denn?
Ich habe selten richtig Angst, aber ich spüre schon so eine untergründige Spannung.
Wie sieht dein Alltag gerade aus?
Ich bin meistens zuhause und helfe meiner Familie. Ich gehe jeden Tag zur Heiligen Messe und mache Aufgaben für die Uni. Ich studiere Biomedizintechnik in Haifa. Das Semester sollte Mitte Oktober beginnen, aber viele der jüdischen Studierenden und Professoren kämpfen jetzt als Soldaten. Aktuell heißt es, dass das Semester an Weihnachten starten soll, aber das ist nicht sicher.
Du hast gesagt, dass du deiner Familie hilfst. Wie denn?
Du musst dir vorstellen: Wir leben in einem Wohnkomplex mit gemeinsamem Innenhof mit meiner Oma, Onkeln und Tanten und meinen Cousinen und Cousins zusammen. Zusammen sind wir 25 Menschen. Ich bin älter als die meisten meiner Cousinen und Cousins, also helfe ich ihnen, für die Schule zu lernen und lese mit ihnen. Sie sind meine Cousinen und Cousins, aber ich habe das Gefühl, dass sie meine Geschwister sind. Wir haben eine starke Connection.
Wie gehst du innerlich damit um, in einem Land zu leben, in dem Krieg herrscht?
Als der Angriff der Hamas startete, hatte ich Angst. Aber das hat sich geändert. Ich bin innerlich recht ruhig, weil ich denke: Wenn ich jeden Moment sterben könnte, möchte ich jeden Moment mehr leben. Wenn ich glücklich sein will, muss ich jetzt leben.
Was gibt dir die Kraft dafür?
Ich glaube: Gott gibt mir diese Kraft. Ich habe auch Angst, ja. Aber die meiste Zeit bin ich ruhig. Ich versuche, mein Leben mit Liebe zu leben – und wenn jemand in der Familie um mich herum Angst hat, dann versuche ich, zu helfen.
Was sagst du dann?
Für mich geht es darum, Glauben und Vertrauen zu haben. Es ist nie das Ende, was hier passiert. Es gibt immer Hoffnung. Und selbst wenn es der letzte Moment auf dieser Erde wäre, dann denke ich, dass ich der Welt in diesem Moment noch etwas geben kann. Und ich glaube auch, dass Gott immer mit mir ist. Wenn etwas passiert, dann glaube ich, dass ich auf ihn vertrauen kann. Ich sage innerlich: „Dein Wille geschehe.“ Er weiß am besten, was gut für mich ist.
Aber er kann ja nicht wollen, dass ihr bedroht werdet?
Der Krieg ist ja nicht wegen Gott, sondern weil wir Menschen die Freiheit haben. Ich denke: Wenn ich im Krieg sterbe, was kann es dann Schöneres geben, als dann Gott zu begegnen? Er wird die richtige Zeit kennen, zu der das geschieht. Und wenn es noch nicht die richtige Zeit ist, dann wird er etwas tun.
Was sind deine Pläne und Wünsche für die Zukunft?
Ich studiere Biomedizintechnik in Haifa, weil ich damit Menschen in Zukunft helfen möchte. Wenn ich arbeite, möchte ich mit all der Liebe arbeiten, die ich habe. Deswegen bin ich gerade darauf fokussiert, Gottes Stimme zu hören, was meine Berufung ist.
Was glaubst du, was dazu gehört?
Es ist wichtig für mich, dass ich Menschen dabei helfe, dass sie wissen, dass sie geliebt sind. Besonders von Gott. Ich möchte, dass andere fühlen, was ich auch gefühlt habe.
»Es ist schon beeindruckend, wenn ich höre, wie sehr es ein Traum für Menschen ist, ins Heilige Land zu fahren. Und ich kann das auch verstehen. Wenn ich bete, denke ich manchmal: Auf dem Grund, wo ich jetzt stehe, war Jesus vielleicht auch schon. Das ist ein unglaubliches Gefühl.«
Luiza
Was hast du denn gefühlt?
Dass Gott mich liebt. Manchmal spüre ich das in kleinen Momenten am Tag, manchmal während des Gebets.
Wann hast du das heute gespürt?
Ich war heute unterwegs, um meinen Personalausweis zu erneuern. Als mich die jüdische Mitarbeiterin bedient hat, war ich aufgeregt und ein bisschen ängstlich. Wir leben während eines Krieges, da könnte es sein, dass Juden sich mit Christen oder Muslimen nicht wohlfühlen. Doch sie war super nett zu mir. Sie hat mich gefragt, wo ich lebe. Ich sagte: Ich bin aus Jish. Und sie so: Wow, oh mein Gott. Dann sind wir fast Nachbarn, ich bin aus Delton. Obwohl wir uns zum ersten Mal gesehen haben, hatte ich das Gefühl, dass sie mir so viel Liebe entgegenbringt. Da habe ich Gottes Präsenz und Liebe gespürt.
Du lebst als Christin im Heiligen Land. Fühlst du dich dadurch Jesus und den biblischen Geschichten näher?
Ich bin hier geboren, also ist das etwas anderes für mich als für euch. Ich bin das gewohnt. Aber es ist schon beeindruckend, wenn ich höre, wie sehr es ein Traum für Menschen ist, ins Heilige Land zu fahren. Und ich kann das auch verstehen. Wenn ich bete, denke ich manchmal: Auf dem Grund, wo ich jetzt stehe, war Jesus vielleicht auch schon. Das ist ein unglaubliches Gefühl.
Welche Geschichte aus der Bibel berührt dich?
Die, als Jesus Petrus fragt: Liebst du mich? Und zwar drei Mal. Dann ist Petrus traurig und sagt Jesus, dass er ihn wirklich liebt. In einem Gebet habe ich mir diese Situation vor Augen geführt. Ich habe mir dieselbe Frage gestellt: Liebe ich Jesus? Tue ich das wirklich?
Und?
Natürlich sage ich, dass ich ihn liebe. Aber ich bin doch auch eine Sünderin, ich habe das und das gemacht. Es ist nervig, jemanden zu sagen „ich liebe dich“ und dann machst du etwas, das dieser Person nicht gefällt.
Stimmt. Unangenehm.
Das Großartige ist, zu realisieren, dass ich diese Sünden habe und trotzdem Gottes Liebe größer ist, als ich es mir vorstellen könnte.
Rund um Weihnachten könnten deine Vorlesungen wieder starten. Wie blickst du darauf?
An der Universität kommen Juden, Muslime und Christen zusammen. Bisher war das immer ruhig und friedlich. Jetzt haben viele Studierende schon Angst, dass es wegen des Kriegs mehr Probleme geben wird. Man fragt sich immer: Was denkt der andere über den Krieg? Ist der gegen mich oder auf meiner Seite? Araber könnten sich vor Juden fürchten und Juden vor Arabern. Das belastet auch Menschen, die überhaupt nicht in den Krieg involviert sind. Wenn mich jemand fragt, wie ich zum Krieg stehe, dann muss ich nicht unbedingt antworten. Meine Antwort wäre immer: „It’s all about love and having peace. That’s it.“