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14.04.2021
Andacht

Barmherzig zu sein änderte mein ganzes Leben

Barmherzigkeit – ein revolutionäres Wort im alten Mantel

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von Stefan Drießen

Christlich leben. Was bedeutet das? Was macht das aus? Früher hätte ich auf diese Fragen geantwortet: „Christlich zu leben bedeutet, immer wieder nett zu sein.“ Heute weiß ich: Nett ist ja schön und gut, aber da geht mehr. Wenn wir nach den Worten Jesu leben möchten, dann geht’s darum, barmherzig zu sein. Und das find ich echt schwer.

Barmherzigkeit ist sprachlich ja eher ein „öder“ Begriff. Das Wort klingt so glatt. Dabei ist es so revolutionär. In dicken Büchern, von schlauen Menschen geschrieben, steht, dass Barmherzigkeit die gelebte Nächstenliebe ist. Gesagt, getan. Oder?

Düsseldorf Hauptbahnhof. Vor einigen Jahren stand ich dort, am Busbahnhof, und wartete auf meinen Bus. Als Zwischensnack aß ich einen Hamburger. Da sprach mich eine fremde Frau an und bat mich um Kleingeld.

In meinem Kopf schwirrten zwei Gedanken. Erstens: Ich sollte über Menschen nicht urteilen und nicht versuchen, sie zu erziehen, indem ich kein Geld gebe. Zweitens: Aber wie kann ich trotzdem konkret helfen?

Ich fragte die junge Frau, ob ich ihr etwas von meinem Essen teilen dürfte. Ich gab ihr die Hälfte meines Hamburgers ab. „Das war nett“, könntet ihr jetzt denken. Vielleicht. Aber barmherzig war es nicht. In der Tüte des Fastfoodgeschäfts hatte ich noch einen weiteren Burger.

Bilder einer alten Schulkameradin, die mich schockierten

Was ist also Barmherzigkeit und wie lebe ich sie? Dazu möchte ich euch noch eine Geschichte erzählen. Nicht, weil ich mir selbst auf die Schulter klopfen möchte, sondern um zu verdeutlichen, wie mich Barmherzigkeit selbst verändert hat.

Alles begann damit, dass eine Freundin und Schulkameradin aus alten Zeiten vor etwa zwei Jahren auf Facebook einen sehr derben Witz über Krankheiten schrieb. Er ging sowas von unter die Gürtellinie, dass ich ihn hier nicht wiedergeben kann. Später erfuhr ich: Der Witz war eine Mitteilung an alle, dass sie mit der Diagnose Krebs rang.

Ihr schrieben viele Menschen nette Kommentare in ihr Profil. Mich schockierten ihre Bilder ohne Haare, die sie voller „Stolz“ postete. So dachte ich: „Ok, ich bete schon mal für sie“. Wenn nichts mehr geht – sagt man so schön – dann bete.

Gebet

Herr und Gott, du weißt, wie ich mich fühle. Du weißt auch, dass ich Angst habe. Ich bitte dich nicht für mich, ich bitte dich für meine Freundin, dass sie den Krebs besiegt. Dass sie nicht alleine ist und dass du da sein kannst in Menschen, die ihr Halt und Kraft sowie Hoffnung geben. Lass mich da helfen, wo du es für richtig hältst. Sei mir eine Stütze, wenn ich Dinge angehen soll, die ich erstmal nicht wage, zu beginnen. Amen.


Als ich betete, das konnte ich nicht fassen, hörte ich, wie Gott mir sagte: „Besuche sie“. Ich spürte, dass Gott möchte, dass ich sie im Krankenhaus besuche. Was hättet ihr gemacht?

Ich stand emotional vor einer riesigen Hürde; hatte echt Schiss davor, sie zu besuchen. Noch als ich auf dem Weg ins Krankenhaus war, dachte ich: „Was machst du hier?“. Dann war ich dort. Meine alte Schulkameradin begrüßte mich mit dem Satz: „Alle reden davon, dass man sich mal wiedersehen müsste, doch du bist der Einzige, der gekommen ist.“ Ich dachte: „Wie traurig“. Und: „Cool, dass Gott mir geholfen hat, über meinen Schatten zu springen.“ Ich war echt dankbar, bei ihr zu sein.

Als ich meine alte Schulkameradin im Krankenhaus besuchte, war ich nicht nur nett. Ich war barmherzig. Es ging in keinster Weise um mich, es ging um den anderen. Um meine alte Schulfreundin. Das verstand ich erst später richtig. Denn obwohl euch diese Story vielleicht nicht unbedingt von den Socken haut – sie zeigt mir sehr gut, was es bedeutet, barmherzig zu sein. Was Jesus meint, wenn er sagt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Mk 12,31a).

Dieser Freundin geht es heute besser. Sie hat den Krebs besiegt. Und ich muss auch sagen: Ich habe mich nach dem Besuch anders gefühlt. Besser. Ich durfte erfahren: Wenn ich mich zurücknehme und anderen etwas Gutes tue, werde auch ich beschenkt. Mit dem Gefühl, etwas Herzensgutes getan zu haben.

Über die eigene Bequemlichkeit springen

Barmherzig zu sein änderte mein ganzes Leben. Es ließ mich erkennen, wie viel Kraft darin steckt, über meine eigene Bequemlichkeit zu springen und Menschen beizustehen. Heute versuche ich es zu leben, weil ich gemerkt habe, dass nur Gott selbst diese Kraft in Form von Liebe schenkt.

Heute erlebe ich, wenn ich uneigennützig helfe und gebe, dass dies ein wunderbarer Moment und ein Zeichen für Gottes sogenanntes entstehendes Himmelreich ist. Auch spüre ich dann, wie Gottes Geist weht und greifbar für das Herz wird.

Ich glaube: Wenn wir Barmherzigkeit leben und erleben, dann ist das ein Vorgeschmack dafür, wie Gott letztendlich ist. Und ich hab richtig Lust, dass immer wieder zu erfahren. Denn so werden sicherlich auch andere daran erinnert, es mir – wie Jesus – ähnlich zu tun. Ich glaube, dass man so sehr frei wird. Ganz anders und echt, wie sich Gott uns eh wünscht.

Lass mich da helfen, wo du, Gott, es für richtig hältst. Sei mir eine Stütze, wenn ich Dinge angehen soll, die ich erstmal nicht wage, zu beginnen. Lass Menschen durch mich spüren, dass ich lieber gebe, als zu nehmen. Amen.


Barmherzigkeit wird für mich selbstverständlich, wenn ich so viel gebe, dass es mein normales Tun denkerisch übersteigt. Wenn mich ein Freund heute fragen würde, ob ich ihm 50 Euro leihen kann, dann würde ich antworten: „Weißt du was? Ich gebe dir 100 Euro – und du musst sie mir auch nicht zurückgeben.“ Das sage ich jetzt. Mal schauen, wie es ist, wenn es passiert.

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