Unsere YOUPAX-Autorin Miriam zeigt mit einem biblischen Motiv auf, was wir von Kindern lernen können.
Es ist Mittwoch, ein ganz normaler Arbeitstag. Während ich am Schreibtisch sitze und im Matthäusevangelium blättere, weil ich eigentlich etwas für einen Artikel auf der Arbeit am Lehrstuhl für Neues Testament nachschlage, stoße ich auf die Verse:
»Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen. Wer sich so klein macht wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.«
Mt 18,3f.
Wow, denke ich, wie Kinder zu werden, das klingt zunächst nach einem Rückschritt. Sofort spielt sich bei mir Kopfkino ab und ich sehe mich als Kind, das von Kleinauf jeden Sonntag in der Messe war. Ich fand das (fast) immer gut, aber meist dauerte mir die Messe viel zu lang. Irgendwann wird es langweilig, wenn man gar nicht richtig jedes einzelne Wort versteht und dann wandern die Blicke wie von selbst umher.
Als Kindergartenkind dachte ich immer, dass der Mann mit dem schönen Gewand, der mal vor, mal hinter dem Altar stand, Gott sei. Aber dann sprach er immer über Gott und zu Gott – also konnte er das doch nicht sein, dachte ich mir. Also fragte ich eines Sonntags ganz unverblümt: „Mama, ist das da vorne Gott?“ Ich bekam ein „Shhh“ und leises „Nein, Gott kann man nicht sehen“ und blieb weiter brav auf der Kniebank stehen, weil ich ja sonst nichts gesehen hätte.
Im Matthäusevangelium sind es Erwachsene, die sich verhalten wie kindische Streithähne. Der Kontext, in dem sich die Szene abspielt, ist der Rangstreit der Jünger: Sie haben sich nicht gescheut, ihrem Lehrer die Frage zu stellen, wer denn der Größte sei. Sie ringen um Anerkennung und malen sich schon die besten Plätze im Himmelreich aus. Jesus zeigt eindrücklich, worum es wirklich geht, indem er das Kind ins Zentrum der Aufmerksamkeit platziert – öffentlich, so dass jeder, zusehen und zuhören kann:
»In jener Stunde kamen die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist denn im Himmelreich der Größte? Da rief er ein Kind herbei, stellte es in die Mitte und sagte: Amen, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen. Wer sich so klein macht wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.
Und wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf.«
(Mt 18, 1-5)
Was meint Jesus denn konkret in der Textpassage, was können wir von Kindern lernen?
In der Gesellschaft, in der Jesus aufgewachsen ist, zählen Kinder faktisch gar nicht. Das ändert sich mit Jesus, der das Kind aufwertet. Mit seiner Antwort stellt er drei Aspekte in den Vordergrund.
Erstens: Nur wer klein ist, wird groß. Die Welt mit den Augen eines Kindes zu sehen, heißt umzukehren. Umkehr meint die Rückbesinnung auf die eigentlichen Werte des Menschseins, sich entleeren, sich frei machen von Anhängigkeiten, sich auf das Wesentliche im Alltag konzentrieren. Sie erhält in diesen vorösterlichen Tagen der Bußzeit eine enorme Bedeutung. Es ist eine Zeit, in der wir uns gezielt näher auf unsere Beziehung zu Gott einstimmen können. Die Bereitschaft zur Umkehr, der Wille zu einem tiefgründigen Glauben durchzudringen, helfen uns neu zu orientieren und fokussieren. Es bedeutet auch, sich selbst zurückzunehmen, um am Ende, dann wenn es zählt, ganz groß rauszukommen. Im Himmelreich sind die Maßstäbe anders gesetzt: Für Gott zeichnet sich Größe durch Demut aus. Wer der Größte sein will, der muss sich selbst in die Hilfsbedürftigkeit eines Kindes erniedrigen.
Zweitens: Das Bild mit dem Kind in der Mitte, ist ein Bild für sein eigenes Leben. Jesus ist ja in der Beziehung zu Gott selbst Kind. Er lebt ganz aus Gott und von Gott her. Jesu Reden sind Gottes Worte und Jesu Handeln sind Gottes Taten. Er ist uns Vorbild und der Weg zu Gott selbst. Von ihm müssen wir lernen. Ihm nachzufolgen, bedeutet, auf der richtigen Spur zu sein. Ihm nachzufolgen, bedeutet sein Kreuz auf sich zu nehmen, wie er es freiwillig getan hat. Er hat sich selbst erniedrigt, um von Gott erhöht zu werden (vgl. Mt 23,12). Das hat ebenso eine starke Bedeutung für uns. Durch die Taufe sind wir Kinder Gottes. Wir dürfen und sollen Gott mit „Vater“ ansprechen. Das zeigt, das seine Fürsorge uns Menschen gegenüber, wie die eines liebenden Vaters ist, der uns umarmen will.
Drittens: In Jesu Namen zu handeln, ein Kind aufzunehmen oder andere aus der Gesellschaft an den Rand Gedrängte, bedeutet Jesus und somit Gott aufnehmen. In Gesten der Nächstenliebe wird Gott erfahrbar.
Wenn wir die Liebe Gottes, die auf uns zukommt, annehmen und teilen, dann zeigen wir auch, das wir Kinder Gottes sind und nicht nur so heißen. Sind wir bereit, der Liebe des Vaters durch uns Ausdruck zu verleihen?
Schließlich trägt der Beitrag die Überschrift „mit den Augen eines Kindes“. Das Auge ist in der biblischen Anthropologie (also die Lehre des Menschen) von besonderer Bedeutung. Mit dem Auge drückt sich der ganze Leib des Menschen aus. Hell ist es für denjenigen, der vom Inneren her gut ist, weil er Gutes denkt und tut. So erkennt er Gott. Dementsprechend bleibt derjenige, der Böses denkt und in Gottesferne lebt im Dunkeln. Damit unser Auge im übertragenen Sinne wirklich sehen kann, müssen wir lernen, mit den Augen eines Kindes zu sehen, das klein, einfach und unbeschwert mit leeren Händen vor Gott steht.
Wer als Erwachsener Gott erkennen möchte, tut dies also am besten mit den Augen eines Kindes. Wer es schafft, so zu werden wie ein Kind und das vielleicht sogar durch die eigene Körperhaltung ausdrückt, etwa im Knien vor Gott, der ist nicht rückschrittlich, sondern befindet sich bodenständig auf dem richtigen Weg.
Diese Botschaft gibt Mut und Kraft, sich dem großen Gott anzuvertrauen, der in Betlehem selbst Kind geworden ist.