Paradiesvorstellung im Mittelalter
Paradiesvorstellung im Mittelalter
17.07.2020
Exklusiv

Der Paradiesgarten auf Erden

Der Garten, ein Ort der Ruhe und des Wachsens. Ein himmlischer Vorgeschmack...

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von Maike C. Kammüller

Wahrscheinlich hast du schon mal ein Schloss besichtigt oder ein altes Kloster. Beide sind stets eingebettet in eine Garten- oder Parklandschaft. Manche prachtvoll herrschend, andere ausgewogen ruhig. Sie laden zum Spazieren, Entspannen und Staunen ein. Doch hast du dich jemals gefragt, warum Schloss und Garten so eng miteinander verbunden sind? Die Antwort liegt in der Bibel.

Gott, Adam, Eva, Mauer, Wasser, Bäume ergeben zusammen den Garten Eden.
Gott, Adam, Eva, Mauer, Wasser, Bäume ergeben zusammen den Garten Eden.

Im frühen Mittelalter und im Hochmittelalter gab es eine tiefe Frömmigkeit, die das Alltagsleben aller bestimmte. Die Menschen wussten, dass das biblische Paradies, der Garten Eden, durch die Erbsünde verloren war. Aber sie sehnten sich nach einem Ort des Friedens, der Gesundheit, ohne Tod und Leid. Wer ein sündenfreies Leben geführt hatte, konnte nach dem Tod darauf hoffen, in das Paradies zu gelangen oder spätestens nach dem Jüngsten Gericht. Die in den Klöstern angelegten Gärten sollten ein Abbild dieses Paradieses auf Erden sein und die Menschen an das biblische Versprechen erinnern.

Das direkte Vorbild für die Gartengestaltung fanden die Menschen im ersten Buch Moses. Der Paradiesgarten wird in Genesis als ein umgrenzter, friedvoller Bereich beschrieben. Im Garten gibt es eine mächtige Wasserquelle und viele Bäume. Diese Vorstellung wird zum Ideal eines Gartens auf Erden. Er soll das Überirdische im Weltlichen widerspiegeln.

„Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen. […] Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte“ (Gen. 2, 8-15).

Wie genau Klostergärten aussahen, ist heute schwer zu sagen.
Wie genau Klostergärten aussahen, ist heute schwer zu sagen.

Also legten die Klöster im frühen Mittelalter Gärten an, die der geistigen Erbauung dienen sollten, waren aber genauso darauf bedacht, dass sie die Nahrungsversorgung sichern sollten und als Heilpflanzengarten die Apotheke des Klosters versorgen mussten. Berühmt sind etwa der Klosterplan von St. Gallen nach Walahfried Strabo oder die Verordnung „Capitulare de villis“ von Karl dem Großen. Hildegard von Bingens Schrift über die Heilwirkung bestimmter Pflanzen, die sie in ihrem Heilkräutergarten studierte, kennen wir bis heute.

Die Gartenkunst des Mittelalters wird unter anderem durch ein Zeichensystem aus heiligen Zahlen bestimmt. Sie sollen die harmonische Schöpfungsordnung Gottes auf Erden widerspiegeln. Die Schönheit der gezähmten Natur ist Spiegel der Schönheit alles Himmlischen. Wie genau dieses Zeichensystem umgesetzt wurde, ist nicht ganz einfach zu erklären, aber es gibt ein anschauliches Beispiel. Die Zahl vier galt als heilige Zahl, da im Buch Genesis von einem Urstrom die Rede ist, der sich in die vier Flüsse Pischon, Gihon, Tigris und Euphrat teilt. In Klöstern findet sich manchmal ein Vierströmebrunnen, der dieses Bild aus der Bibel aufnimmt. Sehr oft sieht man auch vom Kreuzgang eines Klosters umgeben einen Garten mit vier sogenannten Quartieren, in deren Mitte ein Brunnen steht. Beides ist ein Symbol für die vier heiligen Paradiesflüsse.

Außerdem symbolisiert das Wasser, das diese Brunnen speist, das Leben schlechthin. Manchmal findet sich im Zentrum des Klostergartens anstatt eines Brunnens auch ein Baum, der den Paradiesbaum, den Baum des Lebens und der Erkenntnis, verkörpern soll. Außerdem dienten Kreuzgänge als Begräbnisstätte. Die parkähnliche Anlage unsere Friedhöfe kommt nicht von ungefähr. Die Vorhöfe oder Vorhallen der Klosterkirchen, auch Paradies genannt, waren auch Gerichtsstätte. Sakrales und profanes verbinden sich hier. Im Paradies des Paderborner Doms stand lange ein Richtsessel. Das Paradiese als Gerichtsstätte genutzt wurden kommt daher, dass für diese Orte ein Friedensgebot bestand. Kurz gesagt: sie waren Schutzräume.

Daneben gibt es eine wichtige Erzählung in der Offenbarung des Johannes, in der sich die Vorstellung vom himmlischen Jerusalem mit der Erinnerung an das Paradies vermischt. Das himmlische Jerusalem ist von einer hohen Mauer umgeben, erfüllt von Herrlichkeit und Glanz. Dort fließt das Wasser des Lebens. Zwischen den Straßen und diesem Fluss stehen viele Bäume des Lebens. Es herrscht Harmonie. Natur und Kultur gehen Hand in Hand. Eine fast moderne Vorstellung. Heute diskutieren wir wieder, wie wir auf Erden ein Gleichgewicht zwischen Natur und Zivilisation herstellen können und Verantwortung übernehmen, für die bedrohte Schöpfung Gottes. In idealisierter Weise ist diese Frage im Johannesevangelium beschrieben.

Vierströmebrunnen vor der Friedenskirche, Potsdam
Vierströmebrunnen vor der Friedenskirche, Potsdam
Klostervorhof mit Baum.
Klostervorhof mit Baum.


Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Natur immer weniger als heiliger Raum verstanden. So veränderte sich die Bedeutung der Gärten mit dem ausgehenden Mittelalter und der später beginnenden Aufklärung. Die gezähmte Natur wird zum ästhetischen Raum, zum Raum der Erholung, des Genusses, der Lustbarkeiten, der Liebeleien. Gartenkunst wird zur Staatskunst zum Ruhme des Fürsten. Gott sucht man hier vergebens. Einzig der Wille des absolutistischen Herrschers bezwingt die Natur. Im Absolutismus wird der barocke Garten- und Schlosspark zu einem Repräsentationsmedium der Macht und des Reichtums des Herrschers.

Schlossgärten sind prunkvoll und zeigen die Macht des Herrschers.
Schlossgärten sind prunkvoll und zeigen die Macht des Herrschers.

Und heute? Seit der Romantik ist der Garten wieder ein Ort der Ruhe, der Zurückgezogenheit, ein Schutzraum gegen die wilde Welt. Er soll ein friedlicher Ort sein, der, so bilden wir es uns ein, ursprünglich ist und der Erholung dient.

Aktuell geht der Gartentrend wieder hin zu einem durchgestylten Vorzeigeobjekt. Wie viel Natürlichkeit wir ihm lassen, obliegt uns. Trotzdem sind die Elemente Wasser, Umgrenzung und Baumbepflanzung weiterhin tragende Bestandteile jedes Gartens und Parks. Die Bedeutung dieser Elemente kehrt in den aktuellen Debatten um die Gestaltung von Garten und Parkanlagen wieder in unser Bewusstsein zurück. Dass sie paradiesischen Ursprungs sind, dürften die meisten Menschen vergessen haben.

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