Die Installation "Schalechet" (Gefallenes Laub) von Menashe Kadishman erinnert im Jüdischen Museum Berlin an die Opfer des Holocaust.
16.04.2020
Politik

„Baron Totschild gibt den Ton an“

Antisemitische Stereotype im 21. Jahrhundert

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von Lioba Vienenkötter

Na, wer erinnert sich noch an die Echo-Verleihung 2018? Aufsehen erregt hatten die Rapper Farid Bang und Kollegah, die für ihr gemeinsames Album „Jung Brutal Gutaussehend 3“ den Musikpreis gewannen. Die Empörung über die Preisverleihung war immens, der Preis wurde den Musikern aberkannt und zwei Wochen nach der Verleihung im April 2018 im Ganzen abgeschafft. In der Kritik war vor allem die Zeile „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“ . Es ist kein Geheimnis, dass Deutschrap sexistisch, rassistisch und homophob ist, dass er aber auch antisemitische Stereotype bedient, war bis dahin kaum Thema. Kollegah und Farid Bang sind dabei keine Ausnahme, aber dazu später mehr.

brennende Israelfahne auf einer Demo

Versteht mich nicht falsch, ich bin mir der großen Bedeutung des Hip Hop für die Jugendkultur bewusst und kenne auch Rapper, die sehr intelligente und poetische Texte schreiben. Allerdings denke ich, dass weder sexistische, homophobe, rassistische noch antisemitische Zeilen irgendeine Berechtigung haben, auch nicht im Battle-Rap. Und Rap-Texte sind ein gutes Beispiel für das Phänomen, das in diesem Artikel näher beleuchtet werden. soll.
Es geht um latenten Antisemitismus, der breite Teile der deutschen Bevölkerung durchzieht (die statistischen Angaben schwanken zwischen 5 und 20% der Bevölkerung). Antisemitische Ausschreitungen und Aussagen sind schon lange keine Seltenheit mehr, man denke an den Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019.

Vor allem im Zusammenhang mit den israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen kommt es immer wieder zu antiisraelischen Kundgebungen, bei denen häufig auch antisemitische Stereotype bedient werden. Zu Rosenmontag 2020 sind in Aalst, Belgien, Karnevallisten aufgefallen, weil sie antisemitischer Kostüme trugen, die Juden und Jüdinnen als Insekten oder Parasiten darstellten.
Längst hat der Antisemitismus auch Einzug auf den Schulhöfen gehalten: „Du Jude!“ ist zu einer beliebten Beschimpfung unter Jugendlichen geworden, die immer auch in Zusammenhang mit Stereotypen wie Geldgier verwendet wird. Und der Zentralrat der Juden weiß von vielen antisemitischen E-Mails und Nachrichten zu erzählen.

»Heult Leiser und seht mal zu das ihr nicht andere ermahnt während ihr selber immer noch Menschen tötet. Dieses ständige ja ihr habt Millionen Juden getötet nervt nur noch, denn nicht meine Generation war das, sondern unsere URGROßELTERN!!!!«

aus einer Mail an den Zentralrat der Juden

Drohungen gehören für viele Juden und Jüdinnen zum Alltag

Das Problem ist nun aber, dass ein Phänomen wie der latente Antisemitismus per definitionem nicht offen auftritt. Es lässt sich schlecht greifen. Um das Problem zu erkennen, lohnt sich also der Blick auf Deutschrap-Texte: Denn hierin lassen sich moderne antisemitische Stereotype ganz einfach finden.

»Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet
Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen«

Kollegah und Farid Bang: „0815", 2017

Das Holocaust-Denkmal in Berlin ist längst zu einem Zeichen im Kamp gegen den Antisemitismus geworden.

Neben Holocaust-Metaphern und -Relativierungen, wie in Kollegahs und Farid Bangs Text vom Anfang, finden sich auch andere traditionelle antisemitische Äußerungen. Ein gutes Beispiel dafür ist Haftbefehls „Psst“, in dem er singt: „Und ticke Kokain an die Juden von der Börse“. Juden beherrschen den Finanzmarkt?! Dieses Vorurteil war sowohl im im Antisemitismus des 19. Jahrhunderts als auch im Nationalsozialismus sehr populär – und auch heute gehört es zu den beliebtesten Verschwörungstheorien. Das Abstrakte, also Finanzen, Geld, die Börse, wird so personalisiert und, um es verständlicher zu machen, mit „den Juden“ identifiziert.

»Investiere in Schnuff um mein zu Flus vermehren / Und ticke Kokain an die Juden von der Börse / Alter, ich schwöre, ich hab alles erlebt«

Haftbefehl: "Psst", 2014

Ein neueres Stereotyp äußert sich in Prinz Pis „Keine Liebe“, wenn er rappt: „Alle Hippies und Versager kommen ins Hiphop-Arbeitslager“ . Besonders alarmierend wirkt die Zeile aber erst in Kombination mit der darauffolgenden: „,Untergrund‘ zu sein heißt tot sein oder Krieg wie Intifada“ . Der Sänger vergleicht hier die nationalsozialistischen Konzentrations- und Arbeitslager mit der Situation der Palästinenser. Diese Kritik am Staat Israel aktiviert antijüdische Stereotype, die Juden als ,Juden‘ stigmatisieren. Hier werden alle Juden mit Israel gleichgesetzt, Juden verallgemeinert, ihrer Identität beraubt. Juden werden nicht als Religionsgemeinschaft, sondern als ethnisch-nationale Gruppierung betrachtet, eine Kategorisierung, die ebenso falsch wie problematisch, da eindeutig antisemitisch ist.

»Baron Totschild gibt den Ton an
Und er scheißt auf euch Gockel«

Xavier Naidoo: „Raus aus dem Bundestag", 2009

Rothschild-Verschwörung
Rothschild ist der Name einer jüdischen Familie, deren Mitglieder seit dem 18. Jahrhundert als Bankiers bekannt wurden. Sie zählten im 19. Jahrhundert zu den einflussreichsten und wichtigsten Finanziers europäischer Staaten. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts wird Name Rothschild häufig als Symbol für die angebliche Allmacht des Weltjudentums über das internationale Finanzwesen verwendet.

Intifada
Der Begriff beschreibt zwei palästinensische Aufstände gegen Israel. „Intifada“ kommt aus dem Arabischen und bedeutet ‚sich erheben, loswerden, abschütteln‘. Die erste Intifada dauerte von 1987 bis 1993, die zweite, weitaus blutigere Intifada, von 2000 bis 2004. Die Aufstände werden, wie der gesamte israelisch-palästinensische Konflikt, in den Medien und in der internationalen Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert.

Stolpersteine erinnern in vielen Städten an die Toten des nationalsozialistischen Antisemitismus.

»Alle Hippies und Versager kommen ins Hiphop-Arbeitslager
,Untergrund‘ zu sein heißt tot sein oder Krieg wie Intifada«

Prinz Pi: „Keine Liebe", 1998

Ein neueres Stereotyp äußert sich in Prinz Pis „Keine Liebe“, wenn er rappt: „Alle Hippies und Versager kommen ins Hiphop-Arbeitslager“ . Besonders alarmierend wirkt die Zeile aber erst in Kombination mit der darauffolgenden: „,Untergrund‘ zu sein heißt tot sein oder Krieg wie Intifada“ . Der Sänger vergleicht hier die nationalsozialistischen Konzentrations- und Arbeitslager mit der Situation der Palästinenser. Diese Kritik am Staat Israel aktiviert antijüdische Stereotype, die Juden als ,Juden‘ stigmatisieren. Hier werden alle Juden mit Israel gleichgesetzt, Juden verallgemeinert, ihrer Identität beraubt. Juden werden nicht als Religionsgemeinschaft, sondern als ethnisch-nationale Gruppierung betrachtet, eine Kategorisierung, die ebenso falsch wie problematisch, da eindeutig antisemitisch ist.

In vielen Städten gehören Synagogen zu Stadtbild, wie hier in Berlin. Warum klappt dann das friedliche Zusammenleben nicht?

Gefährlich an solchen Texten ist zum einen, dass sie vor allem von Jugendlichen konsumiert werden, die die Codes nicht entschlüsseln und hinterfragen können. Oder die Stereotype nebenbei hören und verinnerlichen. Zum anderen ist alarmierend, dass die Rapper mit diesen Texten nicht mehr nur unter ihren Fans, sondern auch in der breiteren Öffentlichkeit (positive) Aufmerksamkeit erlangen. Neben dem Echo für Kollegah und Farid Bang, wurde Haftbefehls „Psst“ 2014 in einen Frankfurter Tatort eingebaut. Und Prinz Pi wurde 2016 in Jan Böhmermanns „Neo Magazin Royale“ eingeladen.

Ich denke: Die öffentliche Förderung solcher Auftritte deutet zumindest auf eine Duldung antisemitischer Äußerungen hin, gegen diesen Eindruck können auch die nachträglichen Aufschreie der Presse nicht gegensteuern. Besonders in den Schulen sollte der moderne Antisemitismus angesprochen werden, um auf noch bestehende und neue Stereotype aufmerksam zu machen. Aber zumindest ihr dürftet jetzt einen Einblick bekommen haben, welche antisemitischen Stereotype auch heute in unserer so aufgeklärten Zeit kursieren, tragt ihn weiter.

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