"Jedes Menschenleben ist doch wertvoll"
Warum Anja Schneider für Freiheit und gegen Hass in Olpe demonstrieren geht
Wie bitte? Anja Schneider ist gerade auf dem Rückweg von der Arbeit ins Auto eingestiegen. Im Radio hört sie nur noch den letzten Teil der Nachricht vom Geheimtreffen von Rechtsextremen in Potsdam.
Die News: Das Recherche-Netzwerk correctiv enthüllt eine Geschichte mit dem Titel "Geheimplan gegen Deutschland". Darin beschreiben die Journalisten, wie sich hochrangige AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer im November 2023 in Potsdam treffen. Sie planen, Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland zu vertreiben.
Da Anja nur das Ende der Nachricht live hört, recherchiert sie direkt am Handy. Sie sagt: „Ich habe das gelesen und war richtig sauer. Wie kann man so über Menschen urteilen? Wie kann man Menschen so geringschätzen? Jedes Menschenleben ist doch wertvoll.“
Anja kommt aus Rhode im Kreis Olpe. Sie ist 25 Jahre alt, arbeitet als Sozialversicherungsangestellte bei einer Krankenkasse und leitet die Pfadfinder-Gruppe des DPSG-Stamms St. Vinzenz Pallotti in Olpe. Sie sagt: „Ich habe das Gefühl, dass alle zwar immer sagen nie wieder, nie wieder, aber dass es doch genauso anfängt wie schon einmal.“
Die Jugend im Kreis Olpe steht auf
Ein Gefühl, mit dem sie nicht allein ist. Das spürt sie spätestens auf dem Neujahrsempfang des BDKJ-Kreisverbands Olpe am vergangenen Sonntag. Sie ist eine von etwa 30 Haupt- und Ehrenamtlichen aus sechs kirchlichen Jugendverbänden, die bei dem Empfang am Start ist. Sie feiern zusammen die Heilige Messe, essen und kommen ins Gespräch.
Anja sagt: „Wir saßen zusammen und dachten: Wir müssen jetzt als katholische Jugend ein Zeichen setzen. Wir müssen eine Demo machen“. Natürlich sind auch Zweifel da: Kriegen wir das hin? Wer übernimmt die Initiative? Wer hilft beim Organisieren?
Noch am Sonntagabend steht eine erste WhatsApp-Gruppe zur Organisation. Das Motto: „Wir stehen auf für Vielfalt und Demokratie. Die Jugend im Kreis Olpe ruft alle Bürger:innen zur Demo auf.“ Das Datum: Freitag, der 26. Januar 2024.
Der BDKJ-Kreisverband Olpe, das jugendspirituelle Netzwerk TABOR und der Kreisjugendring Olpe übernehmen die Initiative und laden Menschen aus den unterschiedlichsten Gruppen und Vereinen aus der Region ein. Mitte der Woche wird ein Plakat gestaltet. Darauf sind über 50 Logos von Vereinen, Verbänden und Parteien, die zur Demo kommen werden.
"Jeder ist richtig, wie er ist"
Zurück zu Anja. Wenn sie darüber spricht, warum sie jetzt auf die Straße gehen MUSS, wird ihre Stimme lauter und klarer als sonst. Sie sagt: „Eigentlich ist es traurig, dass man das überhaupt klarstellen muss, dass es falsch ist, wie manche Leute denken. Da bin ich schon manchmal sprachlos.“
Ein Beispiel: Anja ist beruflich viel telefonisch im Kontakt mit Versicherten einer Krankenkasse. „Da rufen Leute an und sagen, dass die Flüchtlinge ihnen die Arztplätze wegnehmen würden. Andere sagen 'die Ausländerschweine sollen raus' oder geben homophobe Kommentare ab.“
Was antwortet sie darauf? Anja sagt: „Es hat mich am Anfang schon Überwindung gekostet, da dann aufzustehen und zu sagen: Ne, stopp. Deine Meinung ist nicht richtig. Aber mittlerweile fühle ich mich sicher darin.“
Wenn man mit Anja im Gespräch ist, stellt man sich schon die Frage: Wie hat sie diese starke Haltung entwickelt? Sie antwortet: „Ich bin in einer gläubigen Familie aufgewachsen. Meine Eltern haben uns vermittelt, dass Gott uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat – und dass deswegen auch jeder richtig ist, wie er ist. Egal, ob es um Hautfarbe, Religion, Geschlechtlichkeit oder Liebe geht“.
Was schreiben wir aufs Plakat?
Auch bei den Pfadfindern hat Anja viel über Gleichberechtigung gelernt. Durch Weiterbildungen in Vorbereitung auf die Internationale Woche gegen Rassismus oder Aktionen wie ein Rundgang durch Olpe, bei dem sie sich mit dem Leben von Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigen.
Auch am Freitag, bei der Demonstration in Olpe wird Anja mit ihrem Pfadfinder-Stamm geschlossen auftreten. Sie werden ihre Kluft tragen und ihre Fahne mitnehmen. „Einige werden auch ein Regenbogen-Halstuch tragen und Zuhause Plakate basteln“, sagt Anja.
Sie selbst kann kein Plakat mit zur Demo nehmen, da sie am Freitag als Ordnungshelferin helfen wird. „Aber wenn ich ein Plakat schreiben würde, dann würde darauf stehen: Hass ist keine Meinung. In ganz bunt.“
