Der Patron des Internets
27.03.2014

Der Patron des Internets

SAINTS4LIFE: Isidor

Ich starre auf den dunklen Monitor und lausche dem Rauschen des Rechners. Meine Hände schweben schon über der Tastatur. Das Passwort. Schneller als sonst tippe ich es ein, so als würde ich den Zeitverlust ausgleichen wollen. Aber ich habe die Rechnung ohne die Sanduhr gemacht. Sie dreht und dreht sich, seelenruhig. Sie interessiert sich nicht für meine Unruhe. Ich schaue auf meine Armbanduhr. Ich hätte früher aus dem Haus gehen sollen. Wenn ich nicht zu spät zum Seminar kommen will, dann muss ich mich jetzt wirklich beeilen.

Endlich wird die Sanduhr zum Zeiger. Ich klicke mehrfach auf den Internetbrowser, auch wenn ich weiß, dass es unnütz ist. Als sich die leere Seite öffnet, gebe ich die Adresse der bekanntesten Suchmaschine ein. Die sollte man mal als Startseite konfigurieren. Was suche ich eigentlich? Ach ja, Informationen zu diesem Autor. Wie hieß der noch gleich? Hektisch blättere ich in meinen Unterlagen, finde den Namen und gebe ihn flinken Fingers in die Maschine ein. „Suche“ … Millimeter um Millimeter schiebt sich der blaue Balken nach vorne. „Die Website kann nicht angezeigt werden. Mögliche Vorgehensweise: Diagnose von Verbindungsproblemen.“ Fassungslos blicke ich auf diese wenigen Zeilen. „Das gibt es doch nicht! Dieses Internet!“Ich höre ein lautes „Pssst“ von der Bibliotheksaufsicht am anderen Ende des Raumes. Mir schießt Blut in die Wangen. Ich muss ziemlich laut geflucht haben. Hinter mir lacht jemand leise. Als ich mich umdrehe, blicke ich auf einen uralten Bucheinband. Etymologia steht in altdeutschen Buchstaben dort, ein Nachschlagewerk. Und das in Zeiten von Wikipedia.

Als ich zum Träger aufblicke, sehe ich in das weißbärtige Gesicht eines Mannes. „Ganz schön tückisch dieses Internet, was?“ Plötzlich muss ich lachen. Alle Anspannung fällt von mir ab, als ich sage: „Dieses Buch ist aber auch schwere Kost.“ - „Oh, da haben Sie Recht. Die wenigsten wissen das Internet in meiner Generation zu schätzen, aber ich halte sehr viel davon und nutze es auch immer öfter, wenn ich Informationen suche. Ich greife nur manchmal aus lauter Nostalgie zu Büchern, um darin zu blättern.“ Ich erwiedere: „Das kann ich gut verstehen. Aber so ein Blick in die Welt des Internets ist meistens praktischer.“ Er nickt. Sein Blick ist plötzlich verklärt. „Ja, so hat jede Zeit ihr Lieblingsmedium. Aber gesammeltes Wissen wird es immer geben“, sagt er und klopft sanft auf den Buchrücken und blickt auf meinen Arbeitsplatz. „Ich will Sie nicht aufhalten. Es war mir ein Vergnügen, Ihnen weiterhelfen zu können“, und schon eilt er die Stufen der Bibliothek hoch. Ich schüttele den Kopf. Was eine komische Begegnung. Als ich wieder auf den Bildschirm blicke, ist die Seite erneut geladen. Die Suchmaschine hat 143.904 Ergebnisse ausgespuckt. Zu diesem Isidor gibt es eine ganze Menge. Ich überfliege die ersten Einträge und schreibe mir ein paar Stichpunkte auf meinen Zettel. So gehe ich zumindest nicht ganz unvorbereitet in das Seminar.

Gerade als ich das Fenster schließen will, fällt mein Blick auf einen Lexikonartikel über einen anderen Isidor, den Erzbischof von Sevilla. Ich überfliege die ersten Informationen. Er ordnete das Wissen seiner Zeit in einer 20-bändigen Etymologia. Auf ein Mal kann ich gar nicht mehr aufhören, Texte über diesen Heiligen zu lesen. Die nächste Internetseite kürt ihn gar zum Patron des Internets. Tatsächlich? Dann sollte ich bei der nächsten Internetpanne wohl den Heiligen Isidor anrufen. Als mir Isidor mit Buch und Federkiel aus dem Internet entgegen strahlt, ist mir plötzlich, als hätte ich dieses Gesicht schon einmal gesehen. Erst vor ein paar Minuten. Ich muss schmunzeln. Das war wohl wieder eine heilige Begegnung.

Isabella Henkenjohann

Unsere JUPA-Mitarbeiterin Isabella Henkenjohann ist für den Bereich "SAINTS 4 LIFE" zuständig und schreibt jeden Monat über eine spannende Begegnung mit einem Heiligen. Vorschläge können an redaktion@jupa-paderborn.de gesendet werden.

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