Vizeoffizial Stadermann im Gespräch mit Susanne Wagenknecht
02.11.2017
Liebe

„Der feste Wille, mit jemandem alt zu werden“

Was es verlangt, eine gute und gültige Ehe zu schließen

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Von Tobias Schulte

Ein weißes Kleid, ein schicker Anzug, eine große Party – die kirchliche Hochzeit ist für Verliebte eine große Traumfabrik. Nach der Hochzeit brechen heutzutage jedoch immer mehr Beziehungen auseinander. Der katholische Priester Markus Stadermann beschäftigt sich täglich mit gescheiterten Ehen. Der 43-Jährige arbeitet als Richter am Offizialat in Paderborn, dem bischöflichen Gericht. Das Gericht annulliert jährlich etwa 80 kirchliche Ehen – weil die Ehe zum Zeitpunkt der Hochzeit nicht gültig war. Im Gespräch erklärt Markus Stadermann, warum die Richter Ehen für ungültig erklären können und wie ihr herausfinden könnt, wann eure Beziehung bereit für die Ehe ist.

Priester Markus Stadermann vom Bischöflichen Offizialat Paderborn

Zur Person: Markus Stadermann (43) wurde in Menden im Sauerland geboren. Nach dem Abitur hat er Theologie in Paderborn und Freiburg von 1994 bis 1999 studiert. 2000 wurde er zum Diakon, 2001 zum Priester geweiht. Danach arbeitete er als Vikar in Soest, bevor er 2005 Kirchenrecht an der Westfälischen-Wilhelms-Universität in Münster studierte. 2009 erwarb er das Lizentiat im Kanonischen Recht und wurde zum Richter am Erzbischöflichen Offizialat, dem Kirchengericht, ernannt. Seit 2014 ist er Vizeoffizial. Stadermann wohnt in Paderborn-Neuenbeken, wo er neben den Gottesdiensten im gesamten Pastoralen Raum vor allem in der Jugendarbeit tätig ist.

Was ist die christliche Ehe und was unterscheidet sie zur standesamtlichen?

In einer christlichen Ehe wird Gott durch den liebenden Umgang der Partner quasi sichtbar. Eine christliche Ehe bedeutet, dass sich mein Leben dauerhaft verändert, weil ein zweiter Mensch in mein Leben tritt, mit dem ich fortan eine lebenslange Einheit bilde. In dem Punkt unterscheidet sie sich inhaltlich stark von der standesamtlichen Ehe.

Denn beim Standesamt wird gefragt, ob die Partner als Mann und Frau – und mittlerweile auch in homosexueller Partnerschaft – zusammenleben und füreinander Verantwortung übernehmen wollen. Die Frage, ob man Kinder haben und treu sein will und ob dieser Bund bis zum Tod bestehen soll, wird auf dem Standesamt nicht erfragt. Bei einer standesamtlichen Hochzeit gehe ich natürlich auch eine Bindung ein, aber eine, die mir letztlich alle Möglichkeiten offenhält.

Am Bischöflichen Gericht erklären Sie christliche Ehen für ungültig. Welche Gründe gibt es dafür?

Es gibt vier Säulen der christlichen Ehe: Die Treue, die Unauflöslichkeit, die Nachkommen und das Gattenwohl. Das Gattenwohl ist dabei rechtlich am wenigsten greifbar. Es bedeutet auf den Punkt gebracht etwas wie: Dein Glück ist mein Glück.

Treue in der Ehe bedeutet, dass ich meinen Partner aus ganzem Herzen liebe und weiß, dass ich nur mit dieser einen Person glücklich werden kann. Dazu gehört dann auch Sexualität als Ausdruck der Liebe.

Sexualität ist etwas Exklusives. Dort öffne ich mich für einen anderen Menschen komplett und es besteht zudem die Möglichkeit, menschliches Leben weiterzugeben. Deshalb kann jemand, der die Treue zu seinem Partner vor der Hochzeit ausschließt, keine gültige Ehe schließen. Das passiert, wenn jemand vor der Ehe der Meinung ist, dass ihm Sex mit einer Person nicht reicht, er den Vorsatz hat, „offen für Neues“ zu sein und deswegen untreu wird.

Was bedeuten die Unauflöslichkeit der Ehe und der Ausschluss von Nachkommen praktisch?

Zur Unauflöslichkeit: Manche Partner rechnen vor der Eheschließung mit dem Scheitern der Beziehung, weil der andere in vorehelicher Zeit vielleicht einmal untreu war. Oder sie sagen sich nach einer Beziehungskrise: Ich versuche es noch mal, aber wenn etwas Bestimmtes noch einmal passiert, trenne ich mich wieder. So eine Haltung widerspricht dem Verständnis der Unauflöslichkeit der Ehe. Wer sich vor der Hochzeit durch konkrete Gedankenspiele eine „Hintertür“ aufhält, kann keine gültige Ehe schließen.

Zur christlichen Ehe gehört wie angesprochen die Offenheit für Kinder. In der von Gott geschenkten Sexualität wirken die Eheleute an der Schöpferkraft Gottes mit. Durch gemeinsame Kinder kann sich die Liebe zweier Menschen weiterentwickeln und bleibt nicht auf sich selbst bezogen.

»Treue in der Ehe bedeutet, dass ich meinen Partner aus ganzem Herzen liebe und weiß, dass ich nur mit dieser einen Person glücklich werden kann.«

MARKUS STADERMANN

Hier halten die Richter ihre nichtöffentliche Sitzung, in der sie das Urteil fällen.
Hier halten die Richter ihre nichtöffentliche Sitzung, in der sie das Urteil fällen.
Hereinspaziert!
Hereinspaziert!
Markus Stadermann im Gespräch
Markus Stadermann im Gespräch
Das Bischöfliche Offizialat in Paderborn
Das Bischöfliche Offizialat in Paderborn

Deshalb kann die Ehe aufgelöst werden, wenn die Partner nach der Eheschließung keinen Sex hatten. Wenn ein Partner die Frage nach Kindern an bestimmte Bedingungen knüpft, ist das ebenso ein Grund für die Nichtigkeit der Ehe. Ein Beispiel ist, dass materielle Wünsche sowie die Karriere Vorrang haben und Menschen eine Schwangerschaft ausschließen, weil Kinder in diesem Streben als Hindernis angesehen werden.

Welche konkreten Handlungen oder Eigenschaften von Personen sind oft Auslöser, dass eine Ehe nicht möglich war?

Untreue in vorehelicher Zeit hinterlässt immer Narben. Dann vertrauen sich die Partner nicht mehr zu 100 Prozent. Für mich fängt eine Ehe auch dann an kaputtzugehen, wenn man nicht mehr laut voreinander denken kann, man nicht mehr die Dinge sagt, die einen wirklich bewegen.

Aber auch wer sich zur Heirat gedrängt fühlt, zum Beispiel durch ungewollte Schwangerschaft oder Erwartungshaltungen in der Familie oder im Freundeskreis, schließt oftmals keine gültige Ehe. Und auch psychische Erkrankungen oder Drogen- und Alkoholabhängigkeit führen zur Unfähigkeit, eine partnerschaftliche Ehe zu führen und können eine Nichtigkeit der Ehe zu Folge haben.

Da es also zahlreiche Gründe gibt, dass eine Ehe nicht gültig ist: Was bedeutet es, den Schritt von einer Beziehung zur Ehe zu machen? Ab wann ist eine Partnerschaft bereit dazu, zur Ehe zu werden? 

Einen Partner zu heiraten, bedeutet, den festen Willen und die Überzeugung zu haben, mit diesem Menschen alt zu werden und mit ihm durch dick und dünn zu gehen.

Zeitliche Dimensionen spielen bei der Hochzeit keine Rolle. Es hängt davon ab, wie intensiv sich die Partner kennengelernt haben. Das beinhaltet, dass ich meinen Partner sehe und weiß, wie es ihm geht. Dass ich weiß, wie er auf bestimmte Situationen reagiert. Dass ich die Macken des anderen lieben gelernt habe. Wenn ich meinen Partner also so gut kenne, dass ich weiß, was er denkt und fühlt – und mich der andere genauso kennt – dann ist die Liebe und Partnerschaft gereift und bereit zu einer Ehe.

Ich würde Paare grundsätzlich ermutigen, sich mehr Zeit zu lassen und nicht vorschnell zu heiraten.  Paare setzen sich oft nicht damit auseinander, wie Gott in der Ehe vorkommt und wie der Glaube einen Platz in ihrem Leben und ihrer Ehe findet. Viele haben vor der Ehe nie gemeinsam gebetet oder über den Glauben gesprochen.

Aber ich bin überzeugt, dass gerade auch die Frage nach Gott und dem Glauben einer Partnerschaft Tiefe und Tragfähigkeit geben kann. Wenn ich meinen Glauben mit meinem Partner teile, öffne ich ihm mein Innerstes und lasse ihn so ein Stück in mein Herz schauen.

Wie schwer ist es heutzutage, eine gute und gültige Ehe zu schließen?

Ich bin der Überzeugung, dass ein Großteil der Ehen heute nicht die Qualität hat, als dass sie als christliche Ehen angesehen werden können. Viele dieser Ehen sind dann auch kirchenrechtlich nicht gültig.

»Ich vermisse ein offeneres Sprechen über das Thema Sexualität in der Kirche, denn es wird immer noch
zu stark tabuisiert.«

MARKUS STADERMANN

 Damit spreche ich kein vorschnelles Urteil über Menschen, sondern ich schaue auf die Lebenseinstellungen und Möglichkeiten, die viele junge Menschen heute haben und in ihre Zukunftspläne einfließen lassen. Wer sich alle Optionen offenhalten, sich nicht einschränken und das Leben einfach in vollen Zügen leben will, setzt schwierige Voraussetzungen für eine christliche Ehe.  Ehe heißt nämlich auch Verzicht. Ich verzichte auf eine falsche Form von Selbstverwirklichung. Ich trage Verantwortung für den Partner und Kinder, zu denen ich in der Hochzeit Ja gesagt habe. Und zwar im christlichen Sinne bedingungslos Ja gesagt habe.

Wenn es ums Thema Liebe geht, fällt vielen sofort ein, dass die katholische Kirche Sex vor der Ehe verbietet. Ist das so?

Laut Katechismus ja. Ich vermisse jedoch ein offeneres Sprechen über dieses Thema in der Kirche, denn es wird immer noch zu stark tabuisiert. Mein Verständnis ist: In Sexualität bahnt sich die Liebe einen Weg zum anderen Menschen.  Sexualität gehört deshalb unbedingt in Partnerschaft und Ehe.Sex ohne Liebe fehlt ja auch Entscheidendes: Angenommensein und Geborgenheit.

Richtig bleibt aber, dass Sexualität zum Menschsein und zu einer reifen Persönlichkeit gehört. Diese Erkenntnis ist uns als Kirche in der Theorie zwar klar, aber es gelingt nicht, sie in die Praxis zu überführen.

Jesus sagt im Evangelium sinnhaft: Wer einer Frau nur lüstern hinterherschaut, der begeht schon Ehebruch. Was sagen sie zu einem Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, der beichtet, dass er Pornos schaut und onaniert?

Pornografie bietet ein riesiges Suchtpotenzial. Außerdem besteht die Gefahr, dass durch Pornografie Sexualität zu etwas Egoistischem wird, wo es nur noch um mich und meine Bedürfnisbefriedigung geht. Wenn ich mich da reinsteigere, setze ich falsche Weichen für die Zukunft. In einer Partnerschaft und Ehe kommt es insgesamt darauf an, den anderen mit seinen Bedürfnissen und Wünschen im Blick zu haben. Sexualität, die von Liebe und Treue getragen ist, wird dann im richtig verstandenen Sinne auch als erfüllend und befriedigend erlebt.

So läuft eine Ehe-Annullierung im Offizialat ab

1)      Menschen wenden sich an das Offizialat und fragen an, ob es möglich ist, die Ehe annullieren zu lassen. Die Priester oder Gemeindereferenten vor Ort oder auch der Bekanntenkreis haben in der Regel auf dieses Verfahren hingewiesen.

2)      Ein Mitarbeiter des Offizialats spricht mit einem oder beiden Partnern und berät sie. Oft erscheint zum Beratungsgespräch nur einer der beiden geschiedenen oder zumindest getrenntlebenden Eheleute. „Wir erklären den Menschen auch, dass es in dem Verfahren nicht nur primär um das Ziel der Ehenichtigkeit geht, sondern auch darum, sie in der Phase des kirchlichen Ehenichtigkeitsprozesses zu begleiten und zu helfen, versöhnt auf den zerbrochenen Lebensabschnitt zurückzublicken“, sagt Vizeoffizial Markus Stadermann.

3)      Wenn die Mitarbeiter in dem Gespräch einen Grund gefunden haben, warum die Ehe zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht gültig sein könnte, formuliert ein Partner eine Klageschrift gegen die Gültigkeit der Ehe. Dabei steht das sogenannte Eheband unter „Anklage“, nicht einer oder beide Partner. Nach Annahme der Klage wird ein Gerichtshof mit drei Richtern bestellt, die später entscheiden.

4)      Einer der drei Richter ist Untersuchungsrichter. Er vernimmt einen oder beide Partner sowie Zeugen in Vier-Augen-Gesprächen. Dabei gilt das Stillschweigen über das Gespräch, da die Inhalte sehr persönlich sind.

5)      Die Vernehmungsprotokolle werden schriftlich gesammelt und die Partner können die Aussagen einsehen, nachdem alle Vernehmungen abgeschlossen sind. Nach dieser sogenannten Aktenoffenlegung haben sie die Möglichkeit, eine Stellungnahme zu verfassen.

6)      Die Akte wird danach geschlossen und der Ehebandverteidigung übergeben. Der Ehebandverteidiger ist quasi der Staatsanwalt der Ehe: Er verfasst eine Stellungnahme und versucht dabei alles zu betonen, was für die Gültigkeit der Ehe spricht. Diese Stellungnahme kommt in die Prozessakte und wird den Partnern mit der Möglichkeit der Stellungnahme zugeschickt.

7)      Die drei Richter kommen in einer nichtöffentlichen Sitzung im Offizialat zusammen. Jeder Richter hat vorher ein Votum erarbeitet, das er den anderen Richtern vorträgt. Dabei ist er nur seinem Gewissen verpflichtet, was er in diesem Fall als Recht erkannt hat. „Die Urteile fallen in der Regel einstimmig für oder gegen die Gültigkeit der Ehe aus“, sagt Markus Stadermann.

8)      Nach der Urteilssitzung wird das Urteil ausgearbeitet und unter Umständen fließen die Stellungnahme der Bandverteidigung und die Voten des Kollegiums in die Urteilsbegründung ein. Dann wird beiden Parteien das Urteil zugesandt mit der Möglichkeit, in einer bestimmten Frist Berufung gegen das gesprochene Urteil in der zweiten Instanz einzulegen. Bei Verfahren in Paderborn, ist als zweite Instanz das Offizialat Münster zuständig, so wie das Erzbischöfliche Offizialat Paderborn zweite Instanz für Verfahren aus den Diözesen Fulda und Magdeburg ist.  

9)      Wenn keine Berufung eingeht, wird nach Ablauf der Frist den Parteien ein Dekret ausgestellt, mit dem eine zweite kirchlich-katholische Eheschließung möglich ist.

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