Eine Pilgerreise durch Israel macht biblische Erzählungen und Gottes Gegenwart erlebbar.
Wie muss sich Jesus gefühlt haben, als er vierzig Tage in der Wüste verbrachte? Wie sehen die Orte aus, die ich sonst nur aus biblischen Erzählungen kenne? Wie riecht und schmeckt das Land, in dem Jesus Christus wirkte – auch bekannt als das fünfte Evangelium? Ich möchte es herausfinden und melde mich Anfang des Jahres an zu einer Pilgerreise ins Heilige Land. „Jesus Trail“ oder „Jerusalem Weg“ heißt die beliebte Wanderroute. Eine Woche lang werden wir von Nazareth über Zippori nach Kana, durch das Taubental zum See Genezareth, über Tabgha durch die Judäische Wüste nach Jerusalem und Bethlehem wandern.
Als ich den Anmeldezettel ausfülle, kann ich mir unter der Reiseroute nur wenig vorstellen. Natürlich kenne ich die Geschichten der Evangelien, die an den entsprechenden Orten spielen. Google zeigt mir Fotos der historischen Stätten und Touristenattraktionen. Dass ich all dies bald selbst hautnah erleben werde, erscheint mir noch weit entfernt.
Erst, als ich an einem Sonntag Mitte September meinen Rucksack für die Reise packe, wird mir langsam bewusst, worauf ich mich eingelassen habe. Wanderschuhe, Sonnenschutz, eine Trinkblase und Verpflegung für die langen, anstrengenden Tagesetappen landen in meiner Tasche. Ich treibe gern und regelmäßig Sport, doch Wandern war ich noch nie – ob ich den langen Märschen im israelischen Hochsommer gewachsen bin? Mit Bibel, Stift und Notizbuch wappne ich mich für die geistlichen Impulse, die mich erwarten – ob sich meine Gottesbeziehung durch diese Reise verändern wird?
»Ob ich den langen Märschen im israelischen Hochsommer gewachsen bin? Ob sich meine Gottesbeziehung durch diese Reise verändern wird?«
YOUPAX-Reporter Tobias Schulte stellt Orte im Heiligen Land vor
Teil 1: Betlehem und die Hirtenfelder
Dann geht alles ziemlich schnell. Die Fahrt zum Flughafen, das vorfreudig-aufgeregte Hallo mit der Reisegruppe, Abflug, Landung. Wir sind da. Reiseleiterin Rachel begrüßt uns herzlich am Flughafen. In der Pilgerherberge stellt sie uns die Reiseroute vor. Am nächsten Tag unternehmen wir die erste Wanderung.
Die Verkündigungskirche mit ihren unzähligen Mariendarstellungen im arabisch-israelische Nazareth ist unser erster Halt und markiert den offiziellen Beginn unserer Pilgerwanderung. Obwohl es noch früh ist, ist die Kirche bereits rege von weiteren Touristen besucht. Nach einem gemeinsamen Gebet marschiert meine Pilgergruppe aus dem Erzbistum Paderborn los. Ich freue mich auf Ruhe und Raum für meine Gedanken. Unterwegs passieren wir Olivenhaine und machen Halt in der antiken Stadt Zippori mit den wohl feinsten Mosaikarbeiten der Region. Nach einer Mittagspause mit Fladenbrot und Humus treten wir den Weg durchs Taubental an. Es ist mittlerweile Nachmittag. Die Sonne knallt auf uns herab. Lange habe ich nicht mehr so stark geschwitzt. Konditionell komme ich klar – allerdings habe ich irgendwann einfach keine Lust mehr, weiterzulaufen. Der Zusammenhalt der Gruppe hilft mir, nicht aufzugeben. Einige Gruppenmitglieder vertragen die Hitze nicht und brauchen eine Pause. Ich bin beeindruckt davon, wie selbstverständlich wir bereits nach der kurzen gemeinsamen Zeit aufeinander Acht geben und füreinander sorgen. Wir teilen nicht nur diese gemeinsame Erfahrung, sondern auch Getränke, Obst, Minisalami aus Deutschland und Lachen miteinander.
Obwohl jede Wegstrecke geografisch und historisch betrachtet unterschiedlich ist, findet die Gruppe – wir sind insgesamt 17 Personen – schnell zu einer gewissen Routine. Luis und Timo sorgen mit ihren mal mehr und mal weniger sinnvollen Gesprächen und Witzen für Unterhaltung. Teresa hat Verpflegung für mindestens drei Großfamilien eingepackt. Wo ich gehe und stehe, riecht es nach Guaven, meinen tropischen Lieblingsfrüchten. Ich habe gleich am ersten Tag ein Dutzend davon gekauft und teile sie mit der Gruppe. Wir harmonieren gut. Intuitiv machen die schnelleren Wanderinnen eine Pause im Schatten, bis der Rest der Gruppe aufgeholt hat. Wer Lust auf Gesellschaft hat, sucht das Gespräch mit Anderen. Wer während der Märsche seinen eigenen Gedanken nachhängen möchte, tut das einfach.
An markanten Punkten entlang des Weges machen wir gemeinsam Halt. Abwechselnd teilt unsere jüdisch-israelische Reiseleiterin Rahel ihr Wissen über diese Orte mit uns und Diözesanjugendpfarrer Stephan Schröder gibt geistliche Impulse. Wo Jesus gewirkt hat, lesen wir gemeinsam die entsprechenden Bibelverse, teilen unsere Gedanken dazu und beten.
Zu Beginn der Reise fragte ich mich, ob und wie diese Reise meine Gottesbeziehung verändern würde. Die Erkenntnis kommt mir bereits am ersten Reisetag und begleitet mich von Nazareth bis Bethlehem. Indem ich mich aufmache zu den Lebens- und Wirkungsstätten Jesu, lade ich ihn aktiv in mein Leben ein. Indem ich achtsam – mal allein mit meinen Gedanken, mal im angeregten Gespräch mit meinen Mitreisenden – durch das Land wandere, öffne ich mich Gott.
»Gott ist für uns Menschen da. Immer.«
Besonders bewusst wird mir seine Gegenwart nicht beim Besuch berühmter, viel besuchter Kirchen und auch nicht beim Blick auf die Heilige Stadt. Für andere Pilgerinnen und Pilger mag das sehr wohl der Fall sein, denn jede Erfahrung ist einzigartig und auf ihre Weise wertvoll. Mir persönlich wird Gottes ständige Gegenwart bewusst in den kleinen, magischen Momenten der Reise: Während der Andacht unter einem Olivenhain, als ich für meine Lieben zuhause bete. Beim Anblick des See Genezareth. Im Austausch mit meinen Weggefährtinnen über das, was uns im Leben bewegt. In einem Moment des Stolzes, nachdem wir gemeinsam als Gruppe eine brenzlige Kletterpassage gemeistert haben. Der Ausblick über die Galiläische Wüste während einer Eucharistiefeier auf der Spitze eines Berges treibt mir Tränen in die Augen. Erschöpfung mischt sich in diesem Moment mit Dankbarkeit für diese einmalige Erfahrung und dem Wissen: Jesus ging seinen Weg – selbst vierzig Tage lang durch die Wüste – voll Bestimmung und Liebe, weil er wusste: Gott ist für uns Menschen da. Immer.