„Vor der Morgenröte“
08.06.2016

„Vor der Morgenröte“

Kino: Josef Hader als Stefan Zweig

Von Caroline von Eichhorn

Was für eine Einstiegsszene, wenn Stefan Zweig als Flüchtling in Brasilien bei einer Literaturveranstaltung empfangen wird. Diese Tafel, dieser Empfang, diese feinen Kleider, dieser fünf Sterne Service, welch ein Willkommen – und alles in einer Einstellung. Und schon sind wir mitten in der Flüchtlingsthematik des zweiten Weltkriegs, und denken automatisch auch an die aktuellen Ereignisse; der Film zeigt, wie schnell jeder Einzelne zum Flüchtling werden kann und wie andere Länder Asyl gewähren können. Freilich ist der Österreicher Stefan Zweig privilegiert, weil er berühmter Schriftsteller ist. Aber allein wegen dieser visuell perfekt ausgerichteten Einstiegsszene sollte man den Film „Vor der Morgenröte“ der Regisseurin Maria Schrader sehen, ein echter Genuss für die Augen.

Man taucht in Stefan Zweigs episches Leben ein, das eines Schriftstellers, den die meisten nur von seinem bekanntesten Buch, der Schachnovelle, kennen. Seine anderen Werke, etwa die romanhaften Biografien „Joseph Fouché“ und „Marie Antoinette“ sind schnell untergegangen, auch wenn Zweig damit in den Dreißigern weltweit berühmt wurde. Wie gewählt er sich ausdrückt, etwa in einem Interview mit Journalisten, wie er an jedem Ort den Stift zur Hand nimmt – damit macht der Film Stefan Zweig wieder lebendig und zieht einen rein ins Leben eines Schriftstellers, der dem Faschismus entkommt. Ein Film also, der sich auch für Schulen eignet, weil er die Weltperspektive auf Deutschland zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs zeigt.

 „Vor der Morgenröte“

Doch in „Vor der Morgenröte“ inszeniert Zweig nicht als den perfekten, klugen Künstler, sondern auch als ein Arschloch, der beizeiten nur an sich denkt, an seine Schreiblust, an sein Eigenbrötlertum. Einer, der keine Rücksicht nehmen will, aber ständig Nachsicht von anderen erwartet. Dabei bleibt er immer ein Zweifelnder, der nicht weiß, wie er sein Heimatland retten soll. Er krepiert innerlich an seiner Trauer, das setzt Hader ganz wahrhaftig um. Und als Zuschauer kommt man nicht aus es ihm gleich zu tun.

„Vor der Morgenräte“ ist auch ein Film, der viel über deutsche Geschichte aus einer anderen Perspektive lehrt. Man erfährt, wie Brasilien über den Nationalsozialismus gedacht hat, wie das Land Geflohene wie Stefan Zweig begrüßt hat. In dieser Art hat man es noch nicht in vielen Filmen gesehen. Da kann man es dem Film verzeihen, dass ihm aus dramaturgischer Sicht etwas fehlt, und zwar ein ordentlicher Spannungsbogen. Der Film arbeitet die Geschichte um Stefan Zweigs Exilzeit in Kapiteln ab, findet aber keine Heldenreise oder Herausforderung in seinem Leben, sondern nur ein „Vor sich her leben“. Das langweilt an einigen Stellen. Etwa, wenn man sich an den großartigen Aufnahmen aus dem brasilianischen Dschungel oder dem New Yorker Winter sattgesehen hat.

Aber das Allerbeste: Josef Hader ist ein grandioser Schauspieler. So ernst hat man den Kabarettisten noch nie gesehen. Er spielt ganz und gar nicht sich selbst, man erkennt ihn als Stefan Zweig nicht wieder. Er ist kein Stück witzig, provokant oder pointiert. Er ist stattdessen ein introvertierter, verträumter, alter Mann mit einer jungen Zweitfrau, die seine Tochter sein könnte. Einer, der viel Glück im Leben hatte, aber selbst nicht glücklich werden kann.

„Vor der Morgenröte“ läuft seit dem 3. Juni 2016 in den deutschen Kinos.

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